
Frühling am Neuenburgersee …. die „neue Zeit“ bricht an

Eigentlich wollten wir jetzt, im April und Mai 2021, Deutschland erkunden. Die Pandemie verweist auch uns stattdessen auf die Schönheiten des eigenen Landes. Und tatsächlich, hier lassen sich noch viele Kleinode entdecken. Einige Tage auf dem grosszügigen Camping Les Pêches, unmittelbar bei Le Landeron, dem Landstädtchen mit Charme am Westende des Bielersees. Die ringförmige Anordung der Altstadt-Häuser erzeugt den einzigartigen Städtli-Raum, der für die Brocante diese unverwechselbare Kulisse bietet; schon zu Studienzeiten eines meiner Lieblingziele mit der „Lambretta“.
Heute erkunde ich die Gegend mit dem Fahrrad, entlang des Zihlkanals – und entdecke einmal mehr ungeahnt schöne Winkel. Und draussen am Damm des Zihlkanals am östlichen Ende des Neuenburgersees: das Naturistengelände „die neue zeit“, direkt am idyllischen Naturschutzgebiet Fanel .
Chronisch fabelhaft
Ein Titel der aufhorchen lässt, der gwundrig macht, gell ….
Unter diesem Titel führt Samira Mousa ihren sehr gehaltvollen Blog von der Kategorie „unbedingt mal reinschauen, sich vertiefen, sich anregen und inspirieren lassen“. Unsere Tochter hat mich auf die zwei Bücher aufmerksam gemacht, zwei Bücher die man nicht mehr aus der Hand legen möchte bis man sie ausgelesen hat: spannend, berührend, ermutigend. „und morgen Santiago – Auf dem Jakobsweg zu mehr Zuversicht und Glück … mit multipler Sklerose“ heisst das erste Buch, „und morgen die Welt – wie ich einen Schicksalsschlag in das grösste Abenteuer meines Lebens verwandelte“ das zweite Buch. Nun erschliesst sich auch, weshalb von „chronisch“ die Rede ist: die junge Berlinerin Samira Mousa wurde 2013 im Alter von dreiundzwanzig Jahren mit der Diagnose MS konfrontiert. Sie schreibt mit lockerer Feder gegen diese Krankheit an oder vielmehr … sie erzählt mit ehrlicher und positiver Energie, wie sie gerade durch diese chronische Krankheit zu ihren Ressourcen gefunden hat. Heute verbindet sie ihr Talent zum Schreiben und ihren Hang zum Unkonventionellen mit ihrer Entdeckungsfreude und ihrer Lust zu einem nomadischen Lebensstil.
Wie wirklich ist die Wirklichkeit?
Bislang fühlte ich mich gegenüber Rollenspielen und Theaterspielen sehr distanziert; ja schon das Kostümieren an Fasnacht war/ist mir eher fremd. Zu stark mein Bedürfnis, stets authentisch und echt zu sein. So war es denn für mich selbst überraschend, wie spontan und entschlossen ich mich auf die Kleidermiete am Mittelalterfest einlassen konnte. Mir war auch sofort klar, dass der Habit des Zisterzienser-Mönchs mein Gewand sei für dieses Wochenende. Es machte schliesslich richtig Spass, in diese Rolle zu schlüpfen und mir den bisher unbekannten und mittelalterlich geprägten Ort aus dieser Perspektive zu erschliessen.
Besonders schön der Spaziergang am frühen Sonntagmorgen durch den noch verschlafenen Ort. Ein herrlicher Sonnentag mit tiefblauem Himmel kündigt sich an; die Rosenblüten leuchten heute speziell frisch und das Wasser des Thouet kräuselt sich blauer denn je. Tatsächlich ein sonderbares Gefühl, gemessenen Schrittes entlang des Ufers und durch den Ort zu schreiten: das Gefühl der Dankbarkeit für die Schöpfung stellt sich ganz automatisch ein. Dann die ersten Begegnungen, ein Mann mit der Zeitung unterm Arm, jemand kommt vom Bäcker, hinter den ersten Marktständen des Mittelalter-Handwerker-Marktes regt es sich. Eine junge dynamische Familienfrau im grossen schwarzen SUV braust davon … bestimmt zu einem wichtigen Termin.
Was, wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich ein echter Mönch sei? Bin ich oder spiele ich? So genau könnte ich das nicht einmal sagen, denn mir ist gerade sehr wohl in der Haut und ich geniesse diese Perspektive. Ja, in diesem Moment BIN ich, ganz eindeutig.
Ist die Wirklichkeit
jener Frau im SUV nun wirklicher, wichtiger, stimmiger als meine Wirklichkeit?
Oder bin ich in diesem Moment gar bewusster und gegenwärtiger unterwegs als
sie? Was ist den wirklich? Und was wichtig? Da kommt mir der Ausspruch des originellen
und höchst eigenständigen Waldviertler Schuhfabrikanten und Unternehmers
Hermann Staudinger in den Sinn. In seinem Firmenleitbild steht an erster
Stelle: das Wichtigste im Leben ist das Leben!
Ja tatsächlich! Und ich möchte gar noch ergänzen: das Spannendste, das
Überraschendste und das Sinnvollste wohl auch.
Kleider machen Leute – und Kutten machen Mönche: jedenfalls wurde ich an diesem Wochenende vielfach angesprochen, um Absolution gebeten, zur Beichte aufgefordert oder ans nächste Stundengebet erinnert. Auch eine Form der Kontaktaufnahme. Und offenbar hat die Kleidung eine deutliche Wirkung.
Inzwischen habe ich das Mönchgewand wieder abgelegt und der Vermieterin zurückgegeben. Sehr dankbar für diese spannende Erfahrung. Das Spielen mit den verschiedenen Wirklichkeiten möchte ich aber noch weiter ausprobieren. Bin ja gespannt, was noch alles auf uns wartet.
Baum-Charaktere
Ein besonderer Eindruck einer Vorfrühlings-Reise im Loire-Tal (bzw. in Frankreich generell) sind die unzähligen Baum-Charaktere. Riesige Felder, unendliche Weiten, und darin eingestreut sehr viele allein stehende Eichen. Und jetzt, da das Laubwerk noch nicht ausgetrieben hat, kommen die Silhouetten und damit gewissermassen die Charaktere der einzelnen Bäume besonders gut zum Ausdruck. Starke Persönlichkeiten!
Hier einige Fotos:




