Einmal mehr ein typischer Zu-fall: wir wussten wohl, dass am Wochenende des 11./12. Mai in Montreuil-Bellay ein Mittelalterfest stattfinde. Unsere Fouée-Bäcker vom Tag der offenen Tür sind dort engagiert, um wiederum ehrenamtlich und mit mobilem Holzofen die landestypischen Fouées zu backen (Brot-Rondellen, die sich im Holzofen innert 2-3 Minuten aufblähen und dann – aufgeschnitten und gefüllt – den typischen Snack bzw. „Hamburger“ des Anjou ergeben) . Dieses Mittelalterfest wollen wir uns anschauen.
Beim Spaziergang durch die mittelalterliche Altstadt treffen wir auf einen „Pop-up-Store“ der besonderen Art. „Dame Guenièvre“ steht einladend und strahlend vor ihrem Laden, den sie hier für vier Tage aufgeschlagen hat. In üppigem mittelalterlichem Ornat, mit ihrer gewinnenden Art und den deftigen Sprüchen stellt die kommunikative 73-jährige Bretonin etwas dar. Wir lassen uns auf die Einladung ein und stehen unvermittelt in ihrem Laden: für das Mittelalterfest wurde ihr dieses leerstehende improvisierte Ladenlokal zur Verfügung gestellt. Mit rund 280 selbstgenähten Kostümen ist sie angereist. Nach Familienphase und Scheidung gönnt sie sich ihren Traum: aus allerlei gebrauchten und neuen Materialien kreiert sie mittelaterliche Outfits und bringt diese an zahlreichen Mittelalter-Festen in ganz Frankreich zur Vermietung. Diese originelle Atmosphäre nimmt uns schnell „den Ärmel rein“ und so mieten wir für je 15 Euro kurzerhand eine angemessene Kleidung für dieses Wochenende: Renata in Bordeaux-farbener Robe einer Hofdame und Christoph im schlichten Gewand eines Zisterzienser-Mönches. Das macht es uns leicht, in die Atmosphäre dieses Spektakels in stimmiger Umgebung einzutauchen.
Bei der Anprobe werden wir von einem deutschen Paar beobachtet. Auf der Gasse ergeben sich dann schnell die ersten Worte, wir erklären unseren Spontan-Entscheid, machen auf das Mittelalterfest aufmerksam und erläutern dabei, nach welchem Reisekonzept wir unterwegs seien. Ellen und Detlef sind aus Berlin, ebenfalls kurz vor der Rente und für mehrere Wochen mit dem Wohnmobil unterwegs. Wir begegnen uns noch mehrfach an diesem Samstag und merken schnell, wie viele Gemeinsamkeiten uns verbinden. Einmal mehr die eindrückliche Erfahrung, dass man auf bislang wildfremde Menschen stossen und sich in kürzester Zeit vertraut fühlen kann: es ist, wie wenn wir uns schon lange kennen würden. Vertraute Themen, vertraute Lebensfragen, vertraute Haltungen ….. solche Begegnungen sind einfach ein Geschenk. Herzlichen Dank, Ellen und Detlef, und „auf Wiedersehen“!
Das Mittelalter-Fest findet in einer äusserst stimmigen Umgebung statt; es ist, als ob dieser Ort seine Geschichte nochmals wachküssen würde. Dezent klingt mittelalterliche Bordunmusik durch die Gassen der Oberstadt und über die Parkanlage am Ufer des Thouet. Allenthalben Marktstände mit traditionellen Produkten, handwerklichen Seifen, „chüschtigen“ Broten, mittelalterlichem Schmuck, Holzspielzeug, Leder- und Drechsler-Arbeiten, Kerzen etc.. Verschiedenste „Compagnies“, Vereinigungen von Freunden mittelalterlicher Kultur und Geschichte, haben mit möglichst authentischen Utensilien ihre Zelte und Lager aufgeschlagen, präsentieren Handwerkstechniken jener Zeit, Kochstellen, Essen, Spiele, Feuer-Shows etc.. Viele Menschen in entsprechender Kleidung, liebevolle Details in Dekor und Ausstattung. Viele Familien mit Kindern, aber auch Knappen- und Ritterspiele, Schmiede und Töpfer, Weber und Drechsler. Sogar einige Waffenknechte, die eine echte Kanone stopfen und rückstossfrei zum explodieren bringen; bombastische Salut-Schüsse; anstelle von Eisenkugeln werden sympathischerweise Mehlklumpen zur Detonation gebracht. Besonders originell am Sonntagmorgen ist das mittelalterliche Fussballturnier: in allen Details dem „richtigen“ Fussball abgeschaut, werden hier auch Fouls, Siegesrituale und sogar „Zeitlupen“-Rückblenden nachgestellt. Eine herrliche Parodie auf die Ernsthaftigkeiten der heutigen Zeit.