Woche 3 / 8.-14.April 2019

Am Sonntagabend durften wir Marlis und Heinz zum Apéro und Znacht in unserem Camper begrüssen. Sie sind an diesem Tag per Bahn und mit ihren Velos nach Nevers gereist, um von hier weg die „Loire à Vélo“ zu geniessen. Am Montag eine gemeinsame Radtour entlang des Canal-latéral-à-la-Loire, flussaufwärts, zum Einfahren und Anwärmen, bis Fleury-sur-Loire und dann auf gleichem Weg wieder zurück. Die Wolken lockern zeitweise auf und die Frühlings-Tendenzen werden spürbar, PicNic beim Port du Canal, der in der Hochsaison wohl von Hausbooten überquillt.

Am Dienstag geht’s weiter nach La Charité-sur-Loire (Stellplatz auf der Insel). Besonders sehenswert war unterwegs das Mündungsgebiet des Allier, le Bec-d’Allier, ca. 10 km nach Nevers. Das Gebiet erinnert ein wenig an das Rheindelta am oberen Bodensee: wunderschöne Uferlandschaft, von Schafen beweidet. In den Büschen, Dornen und Gräsern hängen unzählige „Fähnchen“ aus Schafwolle, sozusagen natürlich gekardet. Renata sammelt diese Wollresten ein und spinnt daraus einen Ring; vielleicht gelingt auch noch eine Filz-Kugel. La Charité-sur-Loire ist mit der grossen Kirche zwar Unesco-Welterbe, der Ort wirkt aber ansonsten eher traurig: viele leere Läden, viele heruntergekommene Gebäude, wenig belebt. Zum Glück finden sich noch junge Menschen, die dieses Vakuum als „Zwischennutzung“ kreativ anreichern. Ein Hol-und-Bring-Laden, ein temporäres Musik-Lokal, ein Basar wird zum kreativen Co-Working-Space … und an einem Brocante-Schaufenster das tiefsinnige Wortspiel mit Ortsbezug: „Qu’importent ces mots république, commune ou royauté, ne mêlons pas la politique avec la charité.“ (Théodore Botrel)

Am Mittwoch Weiterfahrt nach Ousson-sur-Loire, ein gepflegter kleiner Ort; zahlreiche der Häuschen mit Loire-Blick scheinen von Stadtbewohnern aus Paris oder Orléans für Wochenendaufenthalte auserwählt. Wir stehen zunächst auf leerem Parkplatz bei der Halle-des-Fêtes und machen Mittagsrast. Kurz vor zwei Uhr ist dann Rush-hour in diesem beschaulichen Dorf und innert Minuten sind wir vom mehr als einem Dutzend Autos umzingelt: Altersnachmittag. So fliehen wir in die Nähe des Glas-Containers und erwarten dort die radelnden Freunde zum Apéro.

Uebernachtungsort ist dann die „Roulotte des Amis“: Marlis und Heinz nächtigen im hölzernen Zirkuswagen in einem sehr sympathischen Einfamilienhaus-Garten und wir dürfen unseren Camper gleich dazustellen, direkt neben das Kleintiergehege mit Truthan, Hühnern, Hängebauchschweinen, Enten – von jeder Sorte ein Paar. Wer dabei in Schweizer Dimensionen denkt, stellt sich das jetzt eng vor auf vielleicht 400m2. Hier ist es eine respektable Fläche von bestimmt 2 Hektaren.

Am Donnerstag geht’s weiter nach Sully-sur-Loire. Unterwegs besuchen Renata und ich das „Living-History-Projekt“ Guédelon: Hier wird in einem abgeschiedenen Waldgebiet mit den Mitteln, Werkzeugen und Kenntnissen des Mittelalters eine Burg errichtet. Eindrücklich was in bisher 23 Jahren hier entstanden ist, weitgehend in Freiwilligen-Arbeit, fachlich (handwerklich) und wissenschaftlich (archäologisch, historisch) begleitet. Ein lebendiger Anschauungsunterricht für zahlreiche Schulklassen. Dieser Wald aus Eichen, Buchen, Eschen, mit zahlreichen Sand- und Lehmgruben durchsetzt, mit Felspartien oxydhaltigen Gesteins und mit einem nahegelegenen Waldsee bot die optimale Umgebung, um mit den vor Ort vorhandenen Mitteln zu bauen. Heute lassen sich Steinhauer, Steinmetze, Schmiede, Zimmerleute, Ziegelmacher, Schindelmacher, Töpfer, Seiler, Müller, Korbflechter, Zaunbauer, Fuhrleute, Drechsler und viele mehr über die Schultern schauen und ihr Handwerk erleben. Eindrücklich, mit welch cleveren Überlegungen und mit wie einfachen Mitteln früher gebaut wurde und auch heute noch ein derart massives Gebäude entstehen kann …. wenn man sich die Zeit gibt, die es dafür braucht.
Die Handwerker wirken glaubwürdig, kompetent und strahlen eine ruhige Gelassenheit aus: Handgriff um Handgriff, Schritt um Schritt, – wie das der Strassenkehrer Beppo in Michael Ende’s Geschichte von MOMO ebenso ausdrücklich erklärte.

Der Stellplatz in Sully-sur-Loire liegt direkt am Loire-Damm, sehr ruhig und unmittelbar hinter der stimmigen und naturgerechten Parkanlage des hiesigen Schlosses. Hier bleiben wir gerne zwei Nächte.

Am Freitag radeln wir zu viert nach St.Benoit-sur-Loire. Die dortige Abbaye de Fleury gilt als ältestes Benediktinerkloster in Frankreich und beherbergt angeblich Reliquien des Ordensgründers Benedikt, welcher in Montecassino in Italien die Grundlagen des abendländischen Mönchtums gelegt hatte. Ein schlichtes und lichtes, ein beeindruckendes romanisches Bauwerk mit sehr schönen Details. Auf dem Loire-Damm geht’s dann wieder zurück nach Sully, wo wir nach ausgiebigem PicNic im Schlosspark das Wasserschloss von Sully-sur-Loire besichtigen können.  Die Anlage ist imposant, geschichtsträchtig und bestens erschlossen; der Rundgang ist sehr interessant und lehrreich, museumspädagogisch hervorragend gestaltet. Nach dem gestrigen Erlebnis auf der Baustelle von Guédelon beeindruckt der immense filigran gebaute Dachstuhl nochmal mehr.

Am Samstag wechseln wir in die Nähe von Orléans zu einem sehr schönen Stellplatz, unter Platanen mit direktem Loire-Blick, in La-Chapelle-Saint-Mesmin. Wenn man den etwas komplizierten Einlass-Automaten mal geschafft hat, dann ist alles perfekt. Sogar WLAN für einen ausgedehnten Büro- und Blog-Nachmittag ist vorhanden. Wiederum ein schöner Platz für zwei Nächte.

Der Sonntag ist Orléans-Tag: die Kathedrale von Orléans erreichen wir um die Mittagszeit, als die letzten Kirchgänger mit Palmwedeln (bzw. Buchsbaum-Zweigen) durch die Gassen nach Hause streben. Palmsonntag. Die mächtige gotische Kathedrale mit ihren Jeanne d’Arc-Fenstern ist gewissermassen Brennpunkt der Geschichte dieser Stadt: Orléans feiert jährlich vom 29.April bis zum 8.Mai mit grossen Son-et-Lumière-Festspielen die Befreiung der Stadt aus der englischen Belagerung im Jahr 1429. Die Legende um Jeanne d’Arc (Johanna von Orleans) wird heute  geschickt zu Marketingzwecken genutzt, schliesslich ein eindeutiger USP (unique selling proposition). Das tut der attraktiven Universitätsstadt aber keinen Abbruch und stiftet offensichtlich heute noch Identität: so jedenfalls im lebhaften Gespräch mit einer ganz und gar heutigen „Johanna von Orléans“, welche den kühlen Frühlings-Sonntag mit mehreren Gläsern vin blanc feiert, während wir auf dem Platz vor der Kathedrale unseren Kaffee schlürfen.

Die Radtour zum Parc Floral, einem prächtigen botanischen Garten vor den Toren der Stadt, lohnt das Suchen: wunderschöne Anlage mit grossen Spazierwegen rund um die Quelle des Loiret, einer Karst-Quelle mit rund 21 Metern Durchmesser. Aus diesem 8-Meter tiefen Quell-Topf, „le bouillon“ genannt, fliessen rund 1300m3 Wasser pro Sekunde. Mit nur gerade 12 Kilometern Länge ist er der kleinste Loire-Nebenfluss, der dazu noch einem ganzen Département seinen Namen lieh.

Übrigens: die kambodschanischen und indischen Restaurants in der Rue de Bourgogne können wir nur empfehlen. Auch in gastronomischer Hinsicht ein buntes Miteinander: die Stadt scheint ihre Multikulturalität zu geniessen …. und wir das feine Essen.

Wasserwege in Frankreich: geniale Kanalbauten

Canal du Centre

Der „Canal du Centre“ oder auch „Canal du Charolais“ verbindet das Loire-Tal (hier die geniale und eindrucksvolle Kanalbrücke über die Loire bei Digoin, 235 müM) mit dem Tal der Saône und mündet in Chalon-sur-Saône auf 179 müM. Er wurde zwischen 1783 und 1793 erbaut und Ende des 19.Jahrhunderts modernisiert bzw. dem Freycinet-Standard angepasst. Auf einer Länge von 114 km wird mittels 64 Schleusen – bei einer Hubhöhe von je 2,6m bis max. 10m – eine Wasserscheide auf 301 müM überwunden.
Aus <https://fr.wikipedia.org/wiki/Canal_du_Centre_(France)>

canal du centre versant méd
canal du centre versant méd

Par CHABERT Louis — Travail personnel, Chabert Louis, Le canal du Centre, Université de Lyon département de géographie, 1959, 80 p., Figure 1, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74930104

Heute sind diese Kanäle reine Freizeit-Wasserwege. Und die ehemaligen Treidelpfade sind zu sehr bequemen und stimmungsvollen Radwegen ausgebaut worden. (vgl. auch Voies vertes)

Die Kanalbrücke über die Loire bei Digoin

Canal du Nivernais

Der Kanal beginnt bei Saint-Léger-des-Vignes, nahe der Stadt Decize, wo er Anschluss an die Loire und nach deren Überquerung an den Canal latéral à la Loire (dt: Loire-Seitenkanal) hat. Er verläuft generell in nördlicher Richtung an den Ausläufern des Morvangebirges und mündet nach einer Länge von 174[1] Kilometern im Stadtgebiet von Auxerre in die Yonne. Über den schiffbaren Unterlauf der Yonne erreicht er einige Kilometer weiter, in Migennes, den Canal de Bourgogne (dt. Burgundkanal) und in weiterer Folge auch die Seine. …

Es handelt sich um einen Kanal des Typus Wasserscheidenkanal, der auf der Seite des Loiretals mit 32 Schleusen einen Höhenunterschied von 74 Metern überwindet und dabei dem Lauf des Flusses Aron folgt. Nach Überschreitung der Scheitelhaltung bei Baye, (Gemeindegebiet Bazolles), in einer Höhe von 260 Metern, folgt der Abstieg zum Fluss Yonne mit Hilfe von 78 Schleusen über eine Höhendifferenz von 165 Metern. Besonders markant ist hier die Schleusentreppe von Sardy, bei der innerhalb von 3,5 Kilometern 16 Schleusen unmittelbar aufeinanderfolgen.

Auf der Scheitelhöhe wird die Wasserversorgung durch mehrere Stauseen sichergestellt (Étang de Baye, Grand Étang de Vaux). Die Scheitelhaltung selbst ist 4,5 km lang und führt durch drei Tunnel (La Collancelle, 758 m, Mouas, 268 m und Les Breuilles, 212 m). Sie ist nur jeweils in einer Richtung als Einbahn befahrbar und wird durch Ampeln geregelt. …

Die Idee eines Verbindungskanals zwischen Loire und Seine geht auf die Regierungszeit von Henri IV zurück. Die Wälder rund um Paris waren abgeholzt, sodass Brennholz von immer weiter her, u. a. aus den ausgedehnten Wäldern des Morvan-Gebietes, zugeführt werden musste. Es blieb jedoch vorerst bei Projektstudien. … Der katastrophale Winter 1782/83, der in Paris einen gravierenden Brennholzmangel zur Folge hatte, gab dann den Ausschlag, die südlichen und nördlichen Hänge des Morvan definitiv für die Brennholzflösserei zu erschliessen. … Erste Arbeiten am Kanal wurden 1784 unternommen. Die Fertigstellung erfolgte 1843.
Aus <https://de.wikipedia.org/wiki/Canal_du_Nivernais>

La Loire à Digoin, le début du Canal Nivernais
Le Canal Nivernais à son hauteur maximale – sortant du Lac de Baye

Woche 2 / 1. – 7.April 2019

Leider ist es noch zu unbeständig und zu kühl zum Paddeln auf der Loire. So fahren wir am Montag von Paray-le-Monial loire-abwärts in die Nähe von Diou. Die Landschaft ist nun weitgehend flach und von endloser Weite; zahllose Hecken, Streifen von Wildgehölzen und Wäldern gliedern die Landschaft. Etwas ausserhalb von Diou und unweit der heutigen Autobahn-Ausfahrt lassen wir uns auf eine weitere Überraschung ein: die Abbaye de Sept-Fons. Diese Abtei hat keine romanischen Zeugnisse zu bieten, ist statt dessen aber ein wieder belebter Ort klösterlichen Lebens und Arbeitens für rund 80 Mönche in der strengen Tradition der Trappisten. Hier gibt es keinen Zugang für Besucher, wohl aber einen Klosterladen, eine informative Foto-Ausstellung und einen sehr sehenswerten modern gestalteten Film (35′) über das spirituelle Leben und Arbeiten der Mönche von Sept-Fons. Eindrücklich, wie sich hier strenges Klosterleben und eine zeitgemässe Produktionsgemeinschaft (mit Rinderfarm, Getreideproduktion, eigener industrieller Mühle, Logistik und Hochregallager für eine umfangreiche Palette an Nahrungsergänzungs-Produkten auf Getreidebasis) vereinen.

Der benachbarte kleine Ort Diou stellt einen gut ausgestatteten Womo-Stellplatz direkt beim Freizeit-Gelände an der Loire kostenfrei zur Verfügung. Wir sind mit zwei andern Campern die einzigen Gäste in diesen eher kühlen Vorsaison-Tagen. Jederzeit empfehlenswert als Ausgangspunkt für Radtouren entlang des Canal latéral à la Loire oder für Kanutouren auf der Loire.

Am Dienstag fahren wir weiter nach Dezice (hier beginnt der Canal du Nivernais, welcher die Loire mit der Seine verbindet). Bei Nieselregen bietet der Ort, abgesehen von der sehr schönen Lage an Loire und Aron, nicht viel. Uns lockt ein weiterer schöner und naturnaher Stellplatz in der Gemeinde Imphy, unweit vor Nevers.

Weil der Platz passt, verbringen wir den Mittwoch als Bummeltag gleich hier: das unbeständige Wetter eignet sich bestens, um einen Martin-Walker-Krimi (mit dem liebenswerten comissaire Bruno in der üppigen Landschaft des Périgord) zu verschlingen. Ein Nebenprodukt dieses Tages: da es uns definitiv zu kalt ist für eine Loire-Tour im Kajak, entscheiden wir uns für einen spontanen Last-Minute-Workaway-Einsatz im Morvan-Gebiet.

Am Donnerstagmorgen erscheinen wir somit auf dem Hof von Anne-Marie, im total abgelegenen Weiler Vorroux völlig „in the middle of nowhere“. Endlose Weide-, Wald- und Hügel-Landschaft, durchsetzt von eindrücklichen einzelstehenden Eichen und zahllosen Hecken. Völlige Ruhe, Abgeschiedenheit, kein Strassenlärm, keine Flugzeuge, nächtlicher Sternenhimmel ohne jedes Fremdlicht. Hier helfen wir während dreier Tage als Allrounder kräftig mit: fünf Tonnen Schotter („gravier“) auf dem Vorplatz verteilen, Tischplatten für die Gartentische zimmern, Fundament-Löcher für einen Anbau-Unterstand graben und betonieren, Brennholz sägen, Garten jäten, Kissenüberzüge nähen und allerlei mehr. Sergej, ein 32-jähriger Russe, kam tags zuvor ebenfalls als Workawayer an. Anne-Marie ist gebürtige Holländerin, die aber schon über 10 Jahre hier im Morvan lebt und Gästezimmer anbietet. Somit eine multinationale Lebens- und Arbeits-Gemeinschaft für kurze Zeit. Die sehr spontane und gastfreundliche Art von Anne-Marie sowie die improvisierte, unkomplizierte und offene Atmosphäre schaffen die Basis für ein besonderes interkulturelles Erlebnis. Und es ist schön, wenn man sich auf diese Weise gegenseitig nützlich machen kann. Für uns ein aussergewöhnlicher „Stellplatz“ mit WLAN und Waschmaschine, mit gutem Essen und interessanten Gesprächen an der offenen Feuerstelle.

Am Sonntag machen wir uns auf nach Nevers, wo uns Marlis und Heinz für eine gemeinsame Radel-Kanu-Geniesser-Ferienzeit entlang der Loire erwarten. Auf dem Weg dorthin lassen wir uns einige Ausblicke auf den Canal du Nivernais nicht entgehen. Der nahegelegene Lac de Baye ist ein Stausee am Scheitelpunkt dieses Wasserscheiden-Kanals. Dieser See dient dazu, die beiderseitigen Schleusentreppen des Kanals mit Wasser zu versorgen. Was die Engländer erst im 20.Jahrhundert gebaut haben, besitzen die Franzosen schon längst: der Canal du Nivernais mit seinen Kanal-Tunnels und 64 Schleusen wurde im ausgehenden 18.Jahrhundert erbaut. Was sich die Kanalbau-Ingenieure da ausgedacht haben, mit Schiffen über Hunderte von Kilometern ganze Hügelzüge zu überwinden, mutet heute schon fast wahnwitzig an: staunenswert und eindrucksvoll ist es allemal. Zwar dient der Kanal nicht mehr der Brennholz-Flösserei aus dem Morvan nach Paris; die Freizeit-Gesellschaft des 21.Jahrhunderts nutzt den Kanal für Hausboot-Ferien und Radtouren auf gut ausgebauten Treidelpfaden. Zumindest Letzteres gibt durchaus auch warm ….

Woche 1 / 23.März bis 31.März 2019

Planmässig konnten wir unsere erste grössere Reise-Etappe am Samstag 23.März starten. Nach Abschiedsbesuchen in Steinach führte die erste Etappe nach Düdingen/FR. Wie schon zum Start unseres Familien-Reisejahres im Sommer 1991 verbrachten wir die letzten zwei Tage bei unserer Freundin Therese.

Am Sonntag führt uns der Spaziergang bei schönstem Frühlingswetter entlang der Saane (Sarine) zur Abbaye d‘ Hauterive. Welch stimmiger Ort zum Start in unsere nächste Lebensphase. Stille, Achtsamkeit und Dankbarkeit … für die uns geschenkte Zeit. Die Mönche im Kloster Hauterive zeigen auch Humor: geschnitzte eichene Zaunpfähle entlang des Spazierwegs zeigen originelle Gesichter, ganz aus dem Leben gegriffen.

Am Montag dann die Fahrt über die Grenze bei Vallorbe und weiter an die Seille westlich von Louhans. Mit Pausenhalt beim sehenswerten Felsenzirkus von Baume-les-Messieurs. „Auffrischen“ von Erinnerungen … bei heftig blasendem Nordwind. Dann die Ankunft bei Markus und Regula im Ferienhaus, wo uns definitiv der Frühling erwartet. Wild wachsende Schachbrett-Blumen am Ufer der Seille.

Am Dienstag besuchen wir das sehr schlichte romanische Kirchlein von Brancion. Rohe Form, Stein und Licht, erzeugen hier eine bergende Stille …. und ein Gefäss, in dem sich Klänge wie von selbst ausbreiten. Ein verhaltener Ton, ein leises Knurren, ein staunendes „Oh“ … entfalten sich fast schon zu Musik.
Überdies ein eindrucksvoller Aussichtspunkt in die Landschaft des Süd-Burgunds und gleichzeitig ein Blick aus der Zeit, zurück ins 12.Jahrhundert. Wer und hier schon alles gelebt haben mag und was hier schon alles geschehen ist?
Die kleine Siedlung auf dem Hügel ist in der Vorsaison noch komplett still. Gerade mal zwei Personen (die Wirtin der „Auberge du vieux Brancion“ und ihr Mann) wohnen hier noch ganzjährig. Ein stimmiger Ort für einen Weisswein im abendlichen Sonnenlicht.

Am Mittwoch verabschieden sich Markus und Regula und fahren zurück in die Schweiz. Wir dürfen uns für die Gastfreundschaft und den Stellplatz erkenntlich zeigen, indem wir in Huilly-sur-Seille noch etwas Gartenarbeiten erledigen; für uns eine besonders schöne Form des stillen Abschieds. Schliesslich ist die ZEIT ja neuerdings unser „Kapital“. Danach fahren wir via Tournus (sehenswerte Kathedrale St.Philibert) an die Lacs de Laives. Hoch über dem Ort Laives nochmals eine romanische Kirche St.Martin; stille Wege durch dicht mit dornigem Unterhloz bewachsenen Steineichen-Wald. Zu dieser Jahreszeit wirken alle Sträucher und Bäume noch aus ihrer eigentlichen Form: die Silhouette der Aeste ist noch nicht durch Blattwerk bedeckt. Gerade die freistehenden Eichen zeigen ganz besonders ihren Charakter.

Von Donnerstag bis Sonntag stehen wir auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände von St.Gengoux-le-National. Sensationell, was diese Weinbauern-Gemeinde aus der Stilllegung von Bahn und Bahnhof gemacht hat: die „Aire de Loisirs“ – das „Vergnügungsviertel“ gewissermassen – ist heute Sportplatz, Kinderspielplatz, Park und Freizeitgelände mit Kletterwand etc.. Der Parkplatz und WoMo-Stellplatz ist idealer Ausgangspunkt für die „Voie Verte“: denn wo einst eine einspurige Landbahn fuhr, ist das Trassee heute asphaltiert und eine ideale Piste für Velofahrer, Spaziergänger und Inline-SkaterInnen.

Am Freitag erkundeten wir die VoieVerte: mit dem Velo in südlicher Richtung, nach Cormatin und dann über liebliche Hügelzüge und weite Felder nach Chapaize. Auf den ersten Blick ein kleiner Weiler, eine Ansammlung von Bauernhäusern. An deren Rand eine umfriedete Parkanlage mit ein Landschloss. Mitten drinn in dieser Siedlung eine zunächst unscheinbare Kirche, von einem kleinen Friedhof umgeben. Die Bauweise aus rohen erdfarbenen Bruchsteinen lässt die gesamte Siedlung bescheiden und gleichförmig erscheinen. Der Schritt in die bergende Dunkelheit der Kirche gerät dann zur völligen Überraschung, überwältigendes Spiel von Raum und Licht. Der schlichte romanische Bau macht die Stille förmlich greifbar.

Am Samstag radle ich nochmals „voie verte“ auf der ehemaligen Bahnlinie durch das Tal der Grosne (ehemals von Macon via Cluny nach Chalon-sur-Saône). Diesmal bis Taizé: prägende Erinnerungen aus der Jugendzeit konnte ich hier nochmals auffrischen. Die ökumenische Gemeinschaft der „frères de Taizé“ zieht anscheinend auch heute noch Jugendliche aus der ganzen Welt an, welche sich von der Spiritualität dieses Ortes angesprochen fühlen. Für mich war’s damals in den siebziger Jahren ein „Tor zur Welt“; die „überraschende“ Entdeckung des Jugendlichen, dass es jenseits der Grenzen der kleinen Schweiz auch junge Menschen gibt, die zwar anders sprechen und trotzdem die gleichen Lebensfragen mit sich tragen. Konkret erfahrbare Internationalität der 70er-Jahre, als Handy, Internet und Social Media noch nicht existierten. Die riesigen Zeltlager in der Zeit um Ostern auf diesem Hügel, die vielen Gespräche in buntem Sprachgemisch, die Spaziergänge nach Ameugny, wo es diesen besonderen Geisskäse zu kaufen gab. Dazu ein Baguette und eine Flasche Rotwein und fertig ist die unvergessliche Runde auf der Kirchentreppe. Heute sind es die beiden kleinen und schlichten romanischen Dorfkirchen von Taizé und Ameugny, welche in ihrer zeitlosen Präsenz bei mir immer noch den stärksten Eindruck hinterlassen.

Am Sonntag wechseln wir die Szenerie. Ein Zwischenhalt in Cluny, jenem historisch prägenden Ort, in dem im Mittelalter die grösste Kirche und Klosteranlage Europas bzw. der damaligen Welt stand. Grösser gar als der Petersdom in Rom. Der prägende Einfluss und die Macht des cluniazensischen Benediktiner-Ordens war Ausgangspunkt vieler Klostergründungen im ganzen heutigen Europa. Schliesslich auch Ausgangspunkt für eine Gegenbewegung, der die Vermischung von Spiritualität und weltlicher Macht höchst suspekt war. In Rückbesinnung auf die spirituelle Grundhaltung entstanden neue Ordensgemeinschaften (Kartäuser, Trappisten), welche wieder handwerkliche Arbeit, Kontemplation, Brüderlichkeit und selbstgewählte Mittellosigkeit zum Ideal erhoben.

Wir wechseln anschliessend vom Tal der Saône und der Grosne bzw. vom südlichen Burgund ins Charolais, ins Einzugsgebiet der Loire. Das Charolais ist eine liebliche Weide-Hügel-Landschaft und die Heimat der weissen Charolais-Rinder.

Paray-le-Monial, die nächste Stadt mit einer bekannten romanischen Basilika, in wunderbarer Lage am Flüsschen Bourbince: die spiegelnde Wasserfläche ermöglicht ein einmaliges Foto-Sujet. Den Franzosen sei es einer der wichtigsten Pilgerorte überhaupt, auch heute noch. Tatsächlich erleben wir an diesem späten Sonntag-Nachmittag, wie „am laufenden Band“ Gruppierungen eintreffen, die hier nacheinander ihre religiösen Feiern abhalten; zu Fuss und mit Rucksäcken bepackt die Einen, Familien mit kleinen Kindern und Kinderwagen, traditionell gekleidete Gläubige und lateinische Gesänge bei den Andern.

Ganz in der Nähe hält dieses charmante Städtchen einen gut ausgestatteten Stellplatz für Wohnmobilisten bereit. Hervorragend geeignet als Ausgangspunkt für eine weitere Radtour auf einer „voie verte“, diesmal eine ehemaliger Treidelpfad entlang dem Canal du Centre. An dessen Ausgangspunkt in Digoin an der Loire beeindruckt der Pont Canal, eine wasserführende Trogbrücke, welche die Schiffe auf dem Canal du Centre über die Loire führt und dahinter in den Canal lateral à la Loire einbiegen lässt.

Baum-Charaktere

Ein besonderer Eindruck einer Vorfrühlings-Reise im Loire-Tal (bzw. in Frankreich generell) sind die unzähligen Baum-Charaktere. Riesige Felder, unendliche Weiten, und darin eingestreut sehr viele allein stehende Eichen. Und jetzt, da das Laubwerk noch nicht ausgetrieben hat, kommen die Silhouetten und damit gewissermassen die Charaktere der einzelnen Bäume besonders gut zum Ausdruck. Starke Persönlichkeiten!
Hier einige Fotos:

Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen

Genug der zahllosen Schreckens-Meldungen, die bloss unsere Ohnmacht verstärken. Genug der Katastrophen-Berichte und Umweltskandale, nach deren Kenntnisnahme „Otto Normalverbraucher“ wieder zur Tagesordnung übergeht. Mich stimmt sehr hoffnungsvoll, dass zahlreiche junge Menschen den Ernst der Lage erkennen und sich betreffen lassen. Und dass zahlreiche Menschen ihre Prioritäten neu justieren: Zeit statt Geld, Rücksichtnahme statt „über den Tisch ziehen“, Teilen statt Besitzen. Es ist Zeit, den destruktiven Mechanismen des kapitalistischen Ein-Wert-Prinzips (Profit über Alles) wieder menschliche Werte und Würde entgegenzustellen.

Tomorrow- die Welt ist voller Lösungen (Frankreich 2015, zu Website und Trailer)
Als die Schauspielerin Mélanie Laurent („Inglourious Basterds“, „Beginners“) und der französische Aktivist Cyril Dion in der Zeitschrift „Nature“ eine Studie lesen, die den wahrscheinlichen Zusammenbruch unserer Zivilisation in den nächsten 40 Jahren voraussagt, wollen sie sich mit diesem Horror-Szenario nicht abfinden. Schnell ist ihnen jedoch klar, dass die bestehenden Ansätze nicht ausreichen, um einen breiten Teil der Bevölkerung zu inspirieren und zum Handeln zu bewegen. Also machen sich die beiden auf den Weg. Sie sprechen mit Experten und besuchen weltweit Projekte und Initiativen, die alternative ökologische, wirtschaftliche und demokratische Ideen verfolgen. Was sie finden, sind Antworten auf die dringendsten Fragen unserer Zeit. Und die Gewissheit, dass es eine andere Geschichte für unsere Zukunft geben kann.

Ein absolut sehenswerter, positiver und ermutigender Film.

Just do it …. wie Initiativkraft die Welt verändert

… im Kleinen wie im Grossen.

Es gibt Momente im Leben, die Einen aus der gewohnten Bahn werfen. Es gibt Menschen, die ob solcher Erfahrungen verzweifeln oder gar zerbrechen. Und es gibt die Anderen, die an solchen Ereignissen erstarken, sich auf ihre eigene Würde besinnen, ihre Prioritäten neu ordnen und – „jetzt erst recht“ – anders tätig werden.

Erstaunlich was passiert, wenn einer sein Wohnzimmer öffnet, einige persönliche E-Mails verschickt und zu einem privaten Filmabend lädt, bei dem es um konkrete, tatkräftige und mutige Initiativen für eine nachhaltige Entwicklung unserer Erde geht. Fünfzehn Menschen, die sich bisher nicht kannten, kommen „zu-fällig“ zusammen, bringen ein buntes und sehr schmackhaftes „Teilete-Buffet“ zustande – komplett selbstorganisiert -, teilen ihre Sorgen und Hoffnungen über den Zustand der Welt — und gehen inspiriert und mit neuer Tatkraft nach Hause, in erneutem Bewusst-sein. Und erfüllt von der positiven und ermutigenden Botschaft des absolut sehenswerten Films „Tomorrow – die Welt ist voller Lösungen“.
Just do it. Herzlichen Dank, Christian, für Deine Initiative und Gastfreundschaft.

63. TID Tour International Danubien

Ein lange gehegter Traum ging in Erfüllung.
Vom 23.Juni 2018 bis zum 26.Juli 2018 konnte ich erstmals an der TID, der internationalen DonauTour teilnehmen.
Die Donau, einer der größten Ströme der Welt, fließt durch Europa von West nach Ost und verbindet zehn Länder miteinander. Auf diesem Strom wird seit 1956 die längste Kanu- und Ruderwanderfahrt der Welt durchgeführt.

Die TID entstand in der Nachkriegszeit als Projekt der Völker-Verständigung und Friedensarbeit. Der Film „TID – die Völkerverständigung klappt ganz gut“ von Daniel Weissbrodt (2013) illustriert die Idee, die Geschichte und die unvergleichliche Atmosphäre dieses einmaligen Ereignisses sehr schön.

Kurze Fotostorys unseres TID-Erlebnisses: (je ca. 10 Minuten)

  1. Etappe: von Ingolstadt bis Passau/Erlau (Deutscher Abschnitt), mit Heinz
  2. Etappe: von Passau/Erlau bis Wien (österreichischer Abschnitt), mit Heinz
  3. Etappe: von Wien bis Budapest (slowakischer +ungarischer Abschnitt), mit Lukas
  4. Etappe: von Budapest bis Mohacs (an die ungarisch-kroatische Grenze), mit Eveline

Geschichtenfänger

In unserem Wohnort Trogen wird im Sommer 2019 unter dem Titel „Das glückselige Leben“ ein eigens kreiertes Freilufttheater aufgeführt. Dieses gründet einerseits auf der speziellen Geschichte und Atmosphäre des Dorfes, anderseits auf dem humanistischen Gedanken und Impulsen, welche vor über 300 Jahren von der hier ansässigen Textilhändler-Dynastie der Zellweger ausging.

Zur Sammlung von Rohmaterial für dieses Freilufttheater, zur Sammlung vielfältigster persönlicher Glücksgeschichten hat Mark Riklin das Geschichtenfänger-Netz ins Leben gerufen. Ich habe mich ebenfalls als „Geschichtenfänger“ einspannen lassen …. und bin gerne bereit, auch Deine Geschichte aufzunehmen. Ein Beitrags-Kommentar oder Mailkontakt genügt.

Die Beispiel-Geschichte, die ich bei einem lieben Freund einfangen durfte:

zweimal Glück gehabt
Th steht als ausgebildeter Forstwart und junger Familienvater auf dem Grundstück seines Bauernhauses, tatendurstig, verantwortungsbewusst und korrekt ausgerüstet. Er arbeitet normalerweise als Praktikant in einem Heim für Menschen mit Behinderung. An diesem freien Tag macht er sich daran, eine Esche zu fällen: Fall-Richtung bestimmen, Fallkerbe setzen, Fällschnitt …. doch dann fällt der Baum in die umgekehrte Richtung. Zum Glück kommt niemand zu Schaden … ausser einer kleinen Telefonleitung, die der Baum mit sich reisst. Th legt die Drähte zur Seite, arbeitet weiter und zerteilt den Baum. Einige Zeit später tauchen Gemeindearbeiter auf, aufgeregt und schreckensbleich. Die 10’000-Volt-Leitung zum nahegelegenen Betonwerk sei unterbrochen und das Betonwerk stehe still. Ob er etwas bemerkt habe? Offenbar ein pures Wunder und ein Riesen-Glück, dass er noch am Leben ist.   Die Leitung wurde repariert und das Betonwerk konnte den Betrieb wieder aufnehmen.   Dass danach eine Schadenersatz-Rechnung über 2500.- ins Haus flattert, ist für Th verständlich und nachvollziehbar. Doch wie sollte er diese bezahlen? Für die junge Familie ist diese Summe astronomisch. So macht er sich auf zum Besitzer des Betonwerks, um sich zu entschuldigen und die Möglichkeit einer Ratenzahlung zu erfragen. „Ja was arbeiten Sie denn?“. Als der Firmeninhaber hört, dass Th in einem Behindertenheim arbeitet, kommt die Aufforderung klar und unvermittelt: „Zerreissen sie die Rechnung und betrachten sie die Sache als erledigt.“ Der Firmeninhaber hat selber einen behinderten Sohn und zeigt damit seine Dankbarkeit für die Arbeit, die in solchen Heimen geleistet wird.    
wann/wo:       ca. 1985 / St.Galler Rheintal
wer:               Forstwart + Sozialpädagoge / männlich / Jahrgang 1957
eingefangen:  Christoph Popp, 30.Dez.2018