Woche 5 / (18.) 22. April bis 28. April 2019

In St.Germain-sur-Vienne werden wir auf dem Schloss-Weingut „Château du petit Thouars“ erwartet (Link führt zur Bilder-Galerie). Schon die Zufahrt ist ein Eintauchen in eine neue Welt, der Kiesweg führt von der Strasse weg, durch die Kastanien-Allee in dichtes Grün. Nach einigen Kurven taucht ein prächtiges Kalkstein-Gebäude auf, welches eine grosse Lichtung überragt. Soweit das Auge reicht bloss Wald in den zartesten Farbnuancen des beginnenden Frühlings: hellgrün, dunkelgrün, graugrün, gelblich, grün mit leichtem Braunton, eine schier grenzenlose Palette. Ebenso beeindruckend das dichte Gewirr unzähliger Vogelstimmen. Noch am ersten Abend beobachten wir aus dem Zimmerfenster Feldhasen und eine Fasanen-Familie (Vater, Mutter und zwei Töchter), die hier ganz offensichtlich heimisch sind. Der Fasan wehrt mit seinem durchdringenden hustenähnlichen Krächzen ab und zu ein paar aufdringliche Krähen ab.

Die junge Familie, die dieses Schloss bewohnt, empfängt uns herzlich und völlig offen. Wir können unser Zimmer im ehemaligen Bediensteten-Haus gleich nebenan beziehen. Unübersehbar, dass uns hier eine von Improvisation und Spontaneität geprägte Welt erwartet. Zwei junge Frauen aus Deutschland, eine Workawayerin und eine 23-jährige Studentin, die als AuPair für die Kinderbetreuung zuständig ist, sind seit Anfang April hier und geben uns eine erste Einführung in die Gepflogenheiten. Gekocht wird vom Chef des Hauses persönlich, man wisse aber nie so genau, wann dies der Fall sein wird: auf jeden Fall sollte man sich darauf einstellen, dass das Abendessen nicht vor 21 Uhr beginne … das Mittagessen wohl frühestens um 13.30 Uhr und das Frühstück … na ja. Arbeitsbeginn sei jedenfalls nie vor 9.30 des nächsten Morgens.

Überraschend ist für uns dann das erste Diner: es dauerte von ca. 21.30 bis ca. 23.30 Uhr. Am Tisch sind auch zwei Freunde des Hauses, ein englischer Parlamentarier (Tory, erklärter Freund Frankreichs und Brexit-Gegner) und seine Verlobte, ihres Zeichens Direktorin des königlichen Shakespeare-Theaters in London. Wir sitzen an einem riesigen ovalen Esstisch, in einem alt-ehrwürdigen Esszimmer in Eichen-Furnier-Ausstattung, umgeben von lauter opulenten Ölgemälden (14 Repliken des Medici-Zyklus von P.P.Rubens, deren Originale im Louvre in Paris hangen) an den Wänden. Das Haus atmet mehrere hundert Jahre adliger Familiengeschichte. Nachdem die Eltern gestorben sind, hat das junge franko-kanadische Paar mit den zwei (bald drei) kleinen Kindern das Anwesen übernommen: wohl Lust und Last zugleich. Das mondäne Leben in Paris gegen ein Landleben in (aristokratischer) Natur-Idylle am Rande der (Welt) Vienne einzutauschen ist wohl nicht ganz ohne.

Nun, die Weltoffenheit scheint nicht abhanden gekommen zu sein; am Tisch wird bunt durcheinander englisch-französisch und deutsch gesprochen. Die Themen wechseln zwischen Essen, HipHop,  britischer Politik, Musik und altehrwürdiger Familiengeschichte. Und auch die Tatsache, dass hier regelmässig AuPair’s und WorkawayerInnen mit am Tisch sitzen, zeugt von Offenheit und Vertrauen.

Nach ersehnter und später Nachtruhe sind wir den ganzen Freitag über eifrig im Einsatz: Rasenmähen, Putzen, Einrichten, Aufräumen. Zusammen mit dem Kellermeister (maitre de chai) Michel und seinem Gehilfen Philippe beteiligen wir uns an den letzten Arbeiten vor dem Tag der offenen Tür. Damit entsteht in kürzester Zeit ein solidarischer Boden, eine gemeinsame Vertrautheit.

Als am Samstag die ersten Aussteller anreisen, gehören wir schon richtig dazu. Guy, der Fouée-Bäcker bereitet Unmengen von Teig, die er während der drei Tage am Holzofen verbacken wird. Fouées sind kleine Teig-Rondellen, die sich im Holzofen in kürzester Zeit aufblähen: aufgeschnitten und gefüllt ergibt sich daraus ein wunderbares Häppchen in zig Varianten: mit Blutwurst, Kräuterkäse, Ziegenkäse, Nutella, Crème Caramal salé, Aprikosen-Konfitüre und vielem mehr lässt sich diese landestypische Spezialität füllen. François, der pensionierte Patissier (Président de la Tour de France des Patissiers) wird während der drei Tage seinen Stand mit Schokolade-Spezialitätern betreuen und vor dem Publikum allerlei Formen giessen. Jean-François, der pensionierte Mitarbeiter der benachbarten „centrale nucleaire EDF“ (Atomkraftwerk) ist heute passionierter Bienenzüchter. Er vermittelt sein breites Wissen über die Welt der Bienen – und verkauft dabei seinen eigenen Honig und ein schmackhaftes „pain d’épices“. Guy, der Steinmetz, sitzt mit verschmitzt lachender Miene vor dem Gewölbekeller an seinem Steinmetz-Tisch und verarbeitet mit Klöppel und Meissel den weichen weissen Tuff-Kalkstein der Gegend. Véronique bietet ihren einzigartigen Ziegenkäse aus der Region an und Brian, der Kleinbrauer mit englischen Wurzeln, bietet ein ausgezeichnetes bitter-hopfiges Dunkles zum Verkauf an. Michel, der Kellermeister (und Strippenzieher des Tages), hat ein ausgedientes Weinfass so ausgeschnitten und hergerichtet, dass es als Räucherkammer taugt. Darin werden zwei Schweins-Medaillons vor Ort geräuchert. Ein altes aufgeschnittenes Ölfass dient als Barbecue-Grill. Michel – er selbst kein Kost-Verächter – ist sehr darauf bedacht, dass alle Aussteller und Helfer ein gebührendes Mittagessen erhalten. Das wird sich an allen drei Tagen (der offenen Tür) als Zentrum und Kristallisationspunkt erweisen: die herzliche Atmosphäre, die gegenseitige Hilfsbereitschaft, das humorvolle Miteinander und das fach- und landes-übergreifende Interesse finden hier ihre Mitte. Wir fühlen uns bestens aufgehoben und akzeptiert in dieser fröhlichen Runde.

Renata engagierte sich durch all diese Tage hindurch im „Backoffice“, im Nachschub sauberer Weingläser wie auch in der fürsorglichen Unterstützung der Mitarbeitenden mit Kaffee. Christoph war verantwortlich für Paketierung und Auslieferung der Weine. Drei Tage der Wein-Degustation im originellen Gewölbekeller, von Ostersamstag bis Ostermontag ein Kommen und Gehen, Touristen, Einheimische, Nachbarn, Freunde: eine quirlige bunte Welt mit zahlreichen Oster-Überraschungen.

Am Dienstag ging dann der Alltag los. Renata war hauptsächlich am Jäten im Blumenbeet vor der Schloss-Fassade und Christoph war derweil mit der Motorsense unterwegs. Es galt die Strassenränder zu mähen, zwischen Rosen und Bäumen auszumähen, das Wegbord zu roden etc..


Augenfällig geht es hier (für uns einmal mehr ;-)) um das Spannungsfeld zwischen SEIN und SCHEIN. Viel Energie soll darauf verwendet werden, den Gästen des Schlosses bzw. des Weinkellers einen aufgeräumten ersten Eindruck zu vermitteln …. während beim zweiten Blick in Küche, Büro und hinter die Fassade das „ganz normale Chaos“ sichtbar wird. Na ja, unsere Themen (hat da jemand „Perfektionismus“ gesagt??) holen uns immer wieder ein. Für uns (als SchweizerIn?) ganz offensichtlich ein riesiges Übungsfeld in Toleranz und Grosszügigkeit. Schliesslich wird vieles aufgewogen durch grosse Herzlichkeit, Gastfreundschaft und Offenheit; dies alles verbunden mit unzähligen Sprüchen, hintersinnigen „jeu de mot’s“ (Wortspielen) und purer Lebensfreude.

Es sei nicht verschwiegen, dass wir jeden Abend ausgezeichnet essen und sämtliche Weine des eigenen Kellers grosszügig ausprobieren können. Auf die Frage, ob er mal eine Ausbildung als Viticulteur oder Sommelier genossen habe, antwortet der Patron eindeutig: es gehe alles über die eigene Erfahrung, soviel wie möglich ausprobieren, von allerlei Weinen kosten, Länder und Produktionsweisen vergleichen, zuhören … und neugierig weitere Erfahrungen sammeln.

Die Tage unserer Ankunft auf dem Schloss-Weingut sind teilweise noch geprägt von der Brand-Katastrophe in der Notre-Dame von Paris. Respektvolle Bemerkungen … aber auch Witz und zuweilen gar Sarkasmus sind spürbar. Die Menschen um uns wirken jedenfalls nicht schockiert oder besonders betrübt. Das Leben scheint weiter zu gehen….

Uns drängt sich dabei immer wieder die Frage auf, wie denn heutzutage mit „Zeugen der Geschichte“ umzugehen sei. Von wann bis wann gilt etwas als Geschichte? Wann ist der Zeitpunkt bzw. was ist der Grund, dass gewisse Dinge und Zustände richtiggehend eingefroren werden (sollen)? Gehört nicht manchmal auch eine (teilweise) Zerstörung essentiell zur Geschichte? Weshalb besuchen Touristen am einen Ort Ruinen (z.B. die Akropolis von Athen), während andernorts möglichst naturgetreue Repliken als Touristenmagnet herhalten müssen? Weshalb ist der Erhalt oder Wiederaufbau von Nationalsymbolen wichtiger als die soziale Wohlfahrt aller BürgerInnen?

Es mag Fragen geben, die nicht (sofort) beantwortet werden müssen.

Guédelon – sie bauen eine Burg (living-history)

Text-Beitrag siehe Woche 3

Woche 4 / 15.- 18. (21.) April 2019

Am Montagmorgen verlassen wir den super schönen Stellplatz von La Chapelle-Saint-Mésmin bei sehr windigem und immer noch kühlem Wetter. Bereits nach 20km der erste Halt in Beaugency: der angegebene Stellplatz am Loire-Ufer ist aufgehoben oder nur saisonal zugelassen (ev. ab Mai). Während wir noch um einen Parkplatz werweissen, kommen bereits Marlis und Heinz mit ihren Rädern ums Eck: Der pure Zufall ermöglicht uns einen gemeinsamen Ortsrundgang mit anschliessendem Kaffee am Dorfplatz. Danach besichtigen Renata und ich noch die sehenswerte romanische Kirche St.Maurice; das Wetter klart auf, die durch das Glasfenster fallenden Sonnenstrahlen zaubern ein buntes Farbenspiel auf Renatas Gesicht. Danach fahren wir zum Einkauf und dann zu unserem Logis: die Ferme de l’Isle in Avaray bietet für Marlis und Heinz ein B&B für die kommenden zwei Nächte und für uns einen super ruhigen Stellplatz im Innenhof des grossen Landwirtschaftsbetriebs. Die Abendsonne lässt die versprochene Wetter-Besserung bereits erahnen: wir geniessen den Apéro zwar noch in Jacken, aber doch schon im Garten. Danach dürfen wir den rustikalen Aufenthaltsraum im ehemaligen Pferdestall nutzen, um uns ein festliches Essen zuzubereiten. Genussvolles Dinieren am grossen Cheminée.

Für Dienstag ist Regenwetter angesagt, weshalb wir zu viert im Camper nach Schloss Chambord fahren. Dieses Schloss beeindruckt uns alle mit seiner einzigartigen Architektur, besonders die monumentale zentrale Wendeltreppe, welche in der Form einer Doppel-Helix angelegt ist und sämtliche Stockwerke erschliesst. Hier kann man gleichzeitig aufwärts und  abwärts unterwegs sein, ohne sich zu begegnen. Die geniale Grundidee zu dieser Treppe wird Leonardo da Vinci zugeschrieben, welcher in seiner letzten Lebensphase angeblich am Hofe des Königs Franz 1. in Amboise gelebt haben soll. Die Schloss-Besichtigung ist auch in museums-didaktischer Hinsicht äusserst zeitgemäss und sorgfältig konzipiert, eine hilfreiche animierte Video-Präsentation lässt die Gesamtidee der Gebäude, aber auch deren Entwicklungsphasen durch die verschiedenen Epochen sehr eindrücklich nachvollziehen. Inspiriert und angeregt fahren wir anschliessend weiter nach Blois, wo ein Stadtrundgang den Ausflug abschliesst. In der Kathedrale von Blois treffen zufällig gerade die letzten Chormitglieder ein zur letzten Probe vor den Oster-Feiertagen. Eine lebhafte und temperamentvolle Einstimmung. Die Jardins de l’Evèchée, die Gärten des Bischofssitzes sind gleich daneben angelegt, erinnern in ihrer Anlage und mit ihrer super Aussichtslage an die Münsterplattform in Bern. Der Rosengarten hat vereinzelte erste Blüten; in gut einem Monat wird er bereits in voller Pracht erstrahlen. Anschliessend fahren wir zurück zu unserer Ferme und geniessen das erste Spargel-Menu der Saison, mit Spargeln aus der Sologne.

Der Mittwoch bringt den ersehnten Wetter-Umschwung, ist aber bereits auch schon der Tag des Abschieds von Marlis und Heinz. Sieh fahren per Rad den Loire-Weg weiter nach Chateauneuf-sur-Loire, während Renata und ich kreuz und quer durch die Sologne kurven. Diesmal bei Sonnenschein passieren wir nochmals beim Chateau de Chambord, dann ein kurzer Blick von Aussen auf Schloss Chauvency und das umgebende Dorf. Mittagspause in einem lichten Buchenwald, dann spazieren wir um das als Wasserschloss angelegte „Chateau du Moulin“, welches still und abgelegen den Charme eines – sympathisch bescheidenen – Dornröschen-Schlosses ausstrahlt, weit ab von den Touristen-Massen. Wir entfernen uns mit dieser Fahrt zunächst von der Loire, queren das Tal des Cher und wechseln ins Tal des Indre. Den Stellplatz für die Nacht finden wir im wunderschön gelegenen anmutigen und geschichtsträchtigen kleinen Ort Montrésor. Das Dorf schmiegt sich an die Burgfelsen einerseits und an die Ufer des Indrois anderseits, ein beschaulicher kleiner Wiesenfluss, – wie es der Name schon sagt, der kleine Bruder des Indre. Der Ort fungiert unter den schönsten Dörfern Frankreichs, pflegt sein Erbe bewusst und ist dennoch authentisch und sympathisch geblieben. Vom idyllischen Uferweg am Indrois aus lässt sich das abendlich erleuchtete Kulisse des Orts wunderbar geniessen; und das Vogelkonzert, Enten, Fledermäuse und gar ein Biber komplettieren das abendliche Erlebnis.

Am Donnerstag besuchen wir die nahegelegene Ortschaft Loches am Indre. Auch hier eine beeindruckende Oberstadt mit mehrteiliger Schloss-Anlage und wunderschöner Aussicht. Der pulsierende Ort ist bekannt für seinen Tuffstein-Steinbruch, welcher in seiner äusserst feinen Struktur von Bildhauern sehr geschätzt wird. Mehrere Stellplätze. Nachmittags Weiterfahrt ins Tal der Vienne und schliesslich zu „unserem Schloss-Weingut“, wo wir für gut zwei Wochen unseren ersten grösseren Workaway-Einsatz absolvieren werden.

In St.Germain-sur-Vienne werden wir auf dem Schloss-Weingut „Château du petit Thouars“ erwartet. Schon die Zufahrt ist ein Eintauchen in eine neue Welt, der Kiesweg führt von der Strasse weg, durch die Kastanien-Allee in dichtes Grün. Nach einigen Kurven taucht ein prächtiges Kalkstein-Gebäude auf, welches eine grosse Lichtung überragt. Soweit das Auge reicht bloss Wald in den zartesten Farbnuancen des beginnenden Frühlings: hellgrün, dunkelgrün, graugrün, gelblich, grün mit leichtem Braunton, eine schier grenzenlose Palette. Ebenso beeindruckend das dichte Gewirr unzähliger Vogelstimmen. Noch am ersten Abend beobachten wir aus dem Zimmerfenster Feldhasen und eine Fasanen-Familie (Vater, Mutter und zwei Töchter), die hier ganz offensichtlich heimisch sind. Der Fasan wehrt mit seinem durchdringenden hustenähnlichen Krächzen ab und zu ein paar aufdringliche Krähen ab.

Über die Erfahrungen im Schloss-Weingut gibt’s beizeiten einen eigenen Beitrag.

Woche 3 / 8.-14.April 2019

Am Sonntagabend durften wir Marlis und Heinz zum Apéro und Znacht in unserem Camper begrüssen. Sie sind an diesem Tag per Bahn und mit ihren Velos nach Nevers gereist, um von hier weg die „Loire à Vélo“ zu geniessen. Am Montag eine gemeinsame Radtour entlang des Canal-latéral-à-la-Loire, flussaufwärts, zum Einfahren und Anwärmen, bis Fleury-sur-Loire und dann auf gleichem Weg wieder zurück. Die Wolken lockern zeitweise auf und die Frühlings-Tendenzen werden spürbar, PicNic beim Port du Canal, der in der Hochsaison wohl von Hausbooten überquillt.

Am Dienstag geht’s weiter nach La Charité-sur-Loire (Stellplatz auf der Insel). Besonders sehenswert war unterwegs das Mündungsgebiet des Allier, le Bec-d’Allier, ca. 10 km nach Nevers. Das Gebiet erinnert ein wenig an das Rheindelta am oberen Bodensee: wunderschöne Uferlandschaft, von Schafen beweidet. In den Büschen, Dornen und Gräsern hängen unzählige „Fähnchen“ aus Schafwolle, sozusagen natürlich gekardet. Renata sammelt diese Wollresten ein und spinnt daraus einen Ring; vielleicht gelingt auch noch eine Filz-Kugel. La Charité-sur-Loire ist mit der grossen Kirche zwar Unesco-Welterbe, der Ort wirkt aber ansonsten eher traurig: viele leere Läden, viele heruntergekommene Gebäude, wenig belebt. Zum Glück finden sich noch junge Menschen, die dieses Vakuum als „Zwischennutzung“ kreativ anreichern. Ein Hol-und-Bring-Laden, ein temporäres Musik-Lokal, ein Basar wird zum kreativen Co-Working-Space … und an einem Brocante-Schaufenster das tiefsinnige Wortspiel mit Ortsbezug: „Qu’importent ces mots république, commune ou royauté, ne mêlons pas la politique avec la charité.“ (Théodore Botrel)

Am Mittwoch Weiterfahrt nach Ousson-sur-Loire, ein gepflegter kleiner Ort; zahlreiche der Häuschen mit Loire-Blick scheinen von Stadtbewohnern aus Paris oder Orléans für Wochenendaufenthalte auserwählt. Wir stehen zunächst auf leerem Parkplatz bei der Halle-des-Fêtes und machen Mittagsrast. Kurz vor zwei Uhr ist dann Rush-hour in diesem beschaulichen Dorf und innert Minuten sind wir vom mehr als einem Dutzend Autos umzingelt: Altersnachmittag. So fliehen wir in die Nähe des Glas-Containers und erwarten dort die radelnden Freunde zum Apéro.

Uebernachtungsort ist dann die „Roulotte des Amis“: Marlis und Heinz nächtigen im hölzernen Zirkuswagen in einem sehr sympathischen Einfamilienhaus-Garten und wir dürfen unseren Camper gleich dazustellen, direkt neben das Kleintiergehege mit Truthan, Hühnern, Hängebauchschweinen, Enten – von jeder Sorte ein Paar. Wer dabei in Schweizer Dimensionen denkt, stellt sich das jetzt eng vor auf vielleicht 400m2. Hier ist es eine respektable Fläche von bestimmt 2 Hektaren.

Am Donnerstag geht’s weiter nach Sully-sur-Loire. Unterwegs besuchen Renata und ich das „Living-History-Projekt“ Guédelon: Hier wird in einem abgeschiedenen Waldgebiet mit den Mitteln, Werkzeugen und Kenntnissen des Mittelalters eine Burg errichtet. Eindrücklich was in bisher 23 Jahren hier entstanden ist, weitgehend in Freiwilligen-Arbeit, fachlich (handwerklich) und wissenschaftlich (archäologisch, historisch) begleitet. Ein lebendiger Anschauungsunterricht für zahlreiche Schulklassen. Dieser Wald aus Eichen, Buchen, Eschen, mit zahlreichen Sand- und Lehmgruben durchsetzt, mit Felspartien oxydhaltigen Gesteins und mit einem nahegelegenen Waldsee bot die optimale Umgebung, um mit den vor Ort vorhandenen Mitteln zu bauen. Heute lassen sich Steinhauer, Steinmetze, Schmiede, Zimmerleute, Ziegelmacher, Schindelmacher, Töpfer, Seiler, Müller, Korbflechter, Zaunbauer, Fuhrleute, Drechsler und viele mehr über die Schultern schauen und ihr Handwerk erleben. Eindrücklich, mit welch cleveren Überlegungen und mit wie einfachen Mitteln früher gebaut wurde und auch heute noch ein derart massives Gebäude entstehen kann …. wenn man sich die Zeit gibt, die es dafür braucht.
Die Handwerker wirken glaubwürdig, kompetent und strahlen eine ruhige Gelassenheit aus: Handgriff um Handgriff, Schritt um Schritt, – wie das der Strassenkehrer Beppo in Michael Ende’s Geschichte von MOMO ebenso ausdrücklich erklärte.

Der Stellplatz in Sully-sur-Loire liegt direkt am Loire-Damm, sehr ruhig und unmittelbar hinter der stimmigen und naturgerechten Parkanlage des hiesigen Schlosses. Hier bleiben wir gerne zwei Nächte.

Am Freitag radeln wir zu viert nach St.Benoit-sur-Loire. Die dortige Abbaye de Fleury gilt als ältestes Benediktinerkloster in Frankreich und beherbergt angeblich Reliquien des Ordensgründers Benedikt, welcher in Montecassino in Italien die Grundlagen des abendländischen Mönchtums gelegt hatte. Ein schlichtes und lichtes, ein beeindruckendes romanisches Bauwerk mit sehr schönen Details. Auf dem Loire-Damm geht’s dann wieder zurück nach Sully, wo wir nach ausgiebigem PicNic im Schlosspark das Wasserschloss von Sully-sur-Loire besichtigen können.  Die Anlage ist imposant, geschichtsträchtig und bestens erschlossen; der Rundgang ist sehr interessant und lehrreich, museumspädagogisch hervorragend gestaltet. Nach dem gestrigen Erlebnis auf der Baustelle von Guédelon beeindruckt der immense filigran gebaute Dachstuhl nochmal mehr.

Am Samstag wechseln wir in die Nähe von Orléans zu einem sehr schönen Stellplatz, unter Platanen mit direktem Loire-Blick, in La-Chapelle-Saint-Mesmin. Wenn man den etwas komplizierten Einlass-Automaten mal geschafft hat, dann ist alles perfekt. Sogar WLAN für einen ausgedehnten Büro- und Blog-Nachmittag ist vorhanden. Wiederum ein schöner Platz für zwei Nächte.

Der Sonntag ist Orléans-Tag: die Kathedrale von Orléans erreichen wir um die Mittagszeit, als die letzten Kirchgänger mit Palmwedeln (bzw. Buchsbaum-Zweigen) durch die Gassen nach Hause streben. Palmsonntag. Die mächtige gotische Kathedrale mit ihren Jeanne d’Arc-Fenstern ist gewissermassen Brennpunkt der Geschichte dieser Stadt: Orléans feiert jährlich vom 29.April bis zum 8.Mai mit grossen Son-et-Lumière-Festspielen die Befreiung der Stadt aus der englischen Belagerung im Jahr 1429. Die Legende um Jeanne d’Arc (Johanna von Orleans) wird heute  geschickt zu Marketingzwecken genutzt, schliesslich ein eindeutiger USP (unique selling proposition). Das tut der attraktiven Universitätsstadt aber keinen Abbruch und stiftet offensichtlich heute noch Identität: so jedenfalls im lebhaften Gespräch mit einer ganz und gar heutigen „Johanna von Orléans“, welche den kühlen Frühlings-Sonntag mit mehreren Gläsern vin blanc feiert, während wir auf dem Platz vor der Kathedrale unseren Kaffee schlürfen.

Die Radtour zum Parc Floral, einem prächtigen botanischen Garten vor den Toren der Stadt, lohnt das Suchen: wunderschöne Anlage mit grossen Spazierwegen rund um die Quelle des Loiret, einer Karst-Quelle mit rund 21 Metern Durchmesser. Aus diesem 8-Meter tiefen Quell-Topf, „le bouillon“ genannt, fliessen rund 1300m3 Wasser pro Sekunde. Mit nur gerade 12 Kilometern Länge ist er der kleinste Loire-Nebenfluss, der dazu noch einem ganzen Département seinen Namen lieh.

Übrigens: die kambodschanischen und indischen Restaurants in der Rue de Bourgogne können wir nur empfehlen. Auch in gastronomischer Hinsicht ein buntes Miteinander: die Stadt scheint ihre Multikulturalität zu geniessen …. und wir das feine Essen.

Wasserwege in Frankreich: geniale Kanalbauten

Canal du Centre

Der „Canal du Centre“ oder auch „Canal du Charolais“ verbindet das Loire-Tal (hier die geniale und eindrucksvolle Kanalbrücke über die Loire bei Digoin, 235 müM) mit dem Tal der Saône und mündet in Chalon-sur-Saône auf 179 müM. Er wurde zwischen 1783 und 1793 erbaut und Ende des 19.Jahrhunderts modernisiert bzw. dem Freycinet-Standard angepasst. Auf einer Länge von 114 km wird mittels 64 Schleusen – bei einer Hubhöhe von je 2,6m bis max. 10m – eine Wasserscheide auf 301 müM überwunden.
Aus <https://fr.wikipedia.org/wiki/Canal_du_Centre_(France)>

canal du centre versant méd
canal du centre versant méd

Par CHABERT Louis — Travail personnel, Chabert Louis, Le canal du Centre, Université de Lyon département de géographie, 1959, 80 p., Figure 1, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74930104

Heute sind diese Kanäle reine Freizeit-Wasserwege. Und die ehemaligen Treidelpfade sind zu sehr bequemen und stimmungsvollen Radwegen ausgebaut worden. (vgl. auch Voies vertes)

Die Kanalbrücke über die Loire bei Digoin

Canal du Nivernais

Der Kanal beginnt bei Saint-Léger-des-Vignes, nahe der Stadt Decize, wo er Anschluss an die Loire und nach deren Überquerung an den Canal latéral à la Loire (dt: Loire-Seitenkanal) hat. Er verläuft generell in nördlicher Richtung an den Ausläufern des Morvangebirges und mündet nach einer Länge von 174[1] Kilometern im Stadtgebiet von Auxerre in die Yonne. Über den schiffbaren Unterlauf der Yonne erreicht er einige Kilometer weiter, in Migennes, den Canal de Bourgogne (dt. Burgundkanal) und in weiterer Folge auch die Seine. …

Es handelt sich um einen Kanal des Typus Wasserscheidenkanal, der auf der Seite des Loiretals mit 32 Schleusen einen Höhenunterschied von 74 Metern überwindet und dabei dem Lauf des Flusses Aron folgt. Nach Überschreitung der Scheitelhaltung bei Baye, (Gemeindegebiet Bazolles), in einer Höhe von 260 Metern, folgt der Abstieg zum Fluss Yonne mit Hilfe von 78 Schleusen über eine Höhendifferenz von 165 Metern. Besonders markant ist hier die Schleusentreppe von Sardy, bei der innerhalb von 3,5 Kilometern 16 Schleusen unmittelbar aufeinanderfolgen.

Auf der Scheitelhöhe wird die Wasserversorgung durch mehrere Stauseen sichergestellt (Étang de Baye, Grand Étang de Vaux). Die Scheitelhaltung selbst ist 4,5 km lang und führt durch drei Tunnel (La Collancelle, 758 m, Mouas, 268 m und Les Breuilles, 212 m). Sie ist nur jeweils in einer Richtung als Einbahn befahrbar und wird durch Ampeln geregelt. …

Die Idee eines Verbindungskanals zwischen Loire und Seine geht auf die Regierungszeit von Henri IV zurück. Die Wälder rund um Paris waren abgeholzt, sodass Brennholz von immer weiter her, u. a. aus den ausgedehnten Wäldern des Morvan-Gebietes, zugeführt werden musste. Es blieb jedoch vorerst bei Projektstudien. … Der katastrophale Winter 1782/83, der in Paris einen gravierenden Brennholzmangel zur Folge hatte, gab dann den Ausschlag, die südlichen und nördlichen Hänge des Morvan definitiv für die Brennholzflösserei zu erschliessen. … Erste Arbeiten am Kanal wurden 1784 unternommen. Die Fertigstellung erfolgte 1843.
Aus <https://de.wikipedia.org/wiki/Canal_du_Nivernais>

La Loire à Digoin, le début du Canal Nivernais
Le Canal Nivernais à son hauteur maximale – sortant du Lac de Baye

Woche 2 / 1. – 7.April 2019

Leider ist es noch zu unbeständig und zu kühl zum Paddeln auf der Loire. So fahren wir am Montag von Paray-le-Monial loire-abwärts in die Nähe von Diou. Die Landschaft ist nun weitgehend flach und von endloser Weite; zahllose Hecken, Streifen von Wildgehölzen und Wäldern gliedern die Landschaft. Etwas ausserhalb von Diou und unweit der heutigen Autobahn-Ausfahrt lassen wir uns auf eine weitere Überraschung ein: die Abbaye de Sept-Fons. Diese Abtei hat keine romanischen Zeugnisse zu bieten, ist statt dessen aber ein wieder belebter Ort klösterlichen Lebens und Arbeitens für rund 80 Mönche in der strengen Tradition der Trappisten. Hier gibt es keinen Zugang für Besucher, wohl aber einen Klosterladen, eine informative Foto-Ausstellung und einen sehr sehenswerten modern gestalteten Film (35′) über das spirituelle Leben und Arbeiten der Mönche von Sept-Fons. Eindrücklich, wie sich hier strenges Klosterleben und eine zeitgemässe Produktionsgemeinschaft (mit Rinderfarm, Getreideproduktion, eigener industrieller Mühle, Logistik und Hochregallager für eine umfangreiche Palette an Nahrungsergänzungs-Produkten auf Getreidebasis) vereinen.

Der benachbarte kleine Ort Diou stellt einen gut ausgestatteten Womo-Stellplatz direkt beim Freizeit-Gelände an der Loire kostenfrei zur Verfügung. Wir sind mit zwei andern Campern die einzigen Gäste in diesen eher kühlen Vorsaison-Tagen. Jederzeit empfehlenswert als Ausgangspunkt für Radtouren entlang des Canal latéral à la Loire oder für Kanutouren auf der Loire.

Am Dienstag fahren wir weiter nach Dezice (hier beginnt der Canal du Nivernais, welcher die Loire mit der Seine verbindet). Bei Nieselregen bietet der Ort, abgesehen von der sehr schönen Lage an Loire und Aron, nicht viel. Uns lockt ein weiterer schöner und naturnaher Stellplatz in der Gemeinde Imphy, unweit vor Nevers.

Weil der Platz passt, verbringen wir den Mittwoch als Bummeltag gleich hier: das unbeständige Wetter eignet sich bestens, um einen Martin-Walker-Krimi (mit dem liebenswerten comissaire Bruno in der üppigen Landschaft des Périgord) zu verschlingen. Ein Nebenprodukt dieses Tages: da es uns definitiv zu kalt ist für eine Loire-Tour im Kajak, entscheiden wir uns für einen spontanen Last-Minute-Workaway-Einsatz im Morvan-Gebiet.

Am Donnerstagmorgen erscheinen wir somit auf dem Hof von Anne-Marie, im total abgelegenen Weiler Vorroux völlig „in the middle of nowhere“. Endlose Weide-, Wald- und Hügel-Landschaft, durchsetzt von eindrücklichen einzelstehenden Eichen und zahllosen Hecken. Völlige Ruhe, Abgeschiedenheit, kein Strassenlärm, keine Flugzeuge, nächtlicher Sternenhimmel ohne jedes Fremdlicht. Hier helfen wir während dreier Tage als Allrounder kräftig mit: fünf Tonnen Schotter („gravier“) auf dem Vorplatz verteilen, Tischplatten für die Gartentische zimmern, Fundament-Löcher für einen Anbau-Unterstand graben und betonieren, Brennholz sägen, Garten jäten, Kissenüberzüge nähen und allerlei mehr. Sergej, ein 32-jähriger Russe, kam tags zuvor ebenfalls als Workawayer an. Anne-Marie ist gebürtige Holländerin, die aber schon über 10 Jahre hier im Morvan lebt und Gästezimmer anbietet. Somit eine multinationale Lebens- und Arbeits-Gemeinschaft für kurze Zeit. Die sehr spontane und gastfreundliche Art von Anne-Marie sowie die improvisierte, unkomplizierte und offene Atmosphäre schaffen die Basis für ein besonderes interkulturelles Erlebnis. Und es ist schön, wenn man sich auf diese Weise gegenseitig nützlich machen kann. Für uns ein aussergewöhnlicher „Stellplatz“ mit WLAN und Waschmaschine, mit gutem Essen und interessanten Gesprächen an der offenen Feuerstelle.

Am Sonntag machen wir uns auf nach Nevers, wo uns Marlis und Heinz für eine gemeinsame Radel-Kanu-Geniesser-Ferienzeit entlang der Loire erwarten. Auf dem Weg dorthin lassen wir uns einige Ausblicke auf den Canal du Nivernais nicht entgehen. Der nahegelegene Lac de Baye ist ein Stausee am Scheitelpunkt dieses Wasserscheiden-Kanals. Dieser See dient dazu, die beiderseitigen Schleusentreppen des Kanals mit Wasser zu versorgen. Was die Engländer erst im 20.Jahrhundert gebaut haben, besitzen die Franzosen schon längst: der Canal du Nivernais mit seinen Kanal-Tunnels und 64 Schleusen wurde im ausgehenden 18.Jahrhundert erbaut. Was sich die Kanalbau-Ingenieure da ausgedacht haben, mit Schiffen über Hunderte von Kilometern ganze Hügelzüge zu überwinden, mutet heute schon fast wahnwitzig an: staunenswert und eindrucksvoll ist es allemal. Zwar dient der Kanal nicht mehr der Brennholz-Flösserei aus dem Morvan nach Paris; die Freizeit-Gesellschaft des 21.Jahrhunderts nutzt den Kanal für Hausboot-Ferien und Radtouren auf gut ausgebauten Treidelpfaden. Zumindest Letzteres gibt durchaus auch warm ….

Woche 1 / 23.März bis 31.März 2019

Planmässig konnten wir unsere erste grössere Reise-Etappe am Samstag 23.März starten. Nach Abschiedsbesuchen in Steinach führte die erste Etappe nach Düdingen/FR. Wie schon zum Start unseres Familien-Reisejahres im Sommer 1991 verbrachten wir die letzten zwei Tage bei unserer Freundin Therese.

Am Sonntag führt uns der Spaziergang bei schönstem Frühlingswetter entlang der Saane (Sarine) zur Abbaye d‘ Hauterive. Welch stimmiger Ort zum Start in unsere nächste Lebensphase. Stille, Achtsamkeit und Dankbarkeit … für die uns geschenkte Zeit. Die Mönche im Kloster Hauterive zeigen auch Humor: geschnitzte eichene Zaunpfähle entlang des Spazierwegs zeigen originelle Gesichter, ganz aus dem Leben gegriffen.

Am Montag dann die Fahrt über die Grenze bei Vallorbe und weiter an die Seille westlich von Louhans. Mit Pausenhalt beim sehenswerten Felsenzirkus von Baume-les-Messieurs. „Auffrischen“ von Erinnerungen … bei heftig blasendem Nordwind. Dann die Ankunft bei Markus und Regula im Ferienhaus, wo uns definitiv der Frühling erwartet. Wild wachsende Schachbrett-Blumen am Ufer der Seille.

Am Dienstag besuchen wir das sehr schlichte romanische Kirchlein von Brancion. Rohe Form, Stein und Licht, erzeugen hier eine bergende Stille …. und ein Gefäss, in dem sich Klänge wie von selbst ausbreiten. Ein verhaltener Ton, ein leises Knurren, ein staunendes „Oh“ … entfalten sich fast schon zu Musik.
Überdies ein eindrucksvoller Aussichtspunkt in die Landschaft des Süd-Burgunds und gleichzeitig ein Blick aus der Zeit, zurück ins 12.Jahrhundert. Wer und hier schon alles gelebt haben mag und was hier schon alles geschehen ist?
Die kleine Siedlung auf dem Hügel ist in der Vorsaison noch komplett still. Gerade mal zwei Personen (die Wirtin der „Auberge du vieux Brancion“ und ihr Mann) wohnen hier noch ganzjährig. Ein stimmiger Ort für einen Weisswein im abendlichen Sonnenlicht.

Am Mittwoch verabschieden sich Markus und Regula und fahren zurück in die Schweiz. Wir dürfen uns für die Gastfreundschaft und den Stellplatz erkenntlich zeigen, indem wir in Huilly-sur-Seille noch etwas Gartenarbeiten erledigen; für uns eine besonders schöne Form des stillen Abschieds. Schliesslich ist die ZEIT ja neuerdings unser „Kapital“. Danach fahren wir via Tournus (sehenswerte Kathedrale St.Philibert) an die Lacs de Laives. Hoch über dem Ort Laives nochmals eine romanische Kirche St.Martin; stille Wege durch dicht mit dornigem Unterhloz bewachsenen Steineichen-Wald. Zu dieser Jahreszeit wirken alle Sträucher und Bäume noch aus ihrer eigentlichen Form: die Silhouette der Aeste ist noch nicht durch Blattwerk bedeckt. Gerade die freistehenden Eichen zeigen ganz besonders ihren Charakter.

Von Donnerstag bis Sonntag stehen wir auf dem ehemaligen Bahnhofsgelände von St.Gengoux-le-National. Sensationell, was diese Weinbauern-Gemeinde aus der Stilllegung von Bahn und Bahnhof gemacht hat: die „Aire de Loisirs“ – das „Vergnügungsviertel“ gewissermassen – ist heute Sportplatz, Kinderspielplatz, Park und Freizeitgelände mit Kletterwand etc.. Der Parkplatz und WoMo-Stellplatz ist idealer Ausgangspunkt für die „Voie Verte“: denn wo einst eine einspurige Landbahn fuhr, ist das Trassee heute asphaltiert und eine ideale Piste für Velofahrer, Spaziergänger und Inline-SkaterInnen.

Am Freitag erkundeten wir die VoieVerte: mit dem Velo in südlicher Richtung, nach Cormatin und dann über liebliche Hügelzüge und weite Felder nach Chapaize. Auf den ersten Blick ein kleiner Weiler, eine Ansammlung von Bauernhäusern. An deren Rand eine umfriedete Parkanlage mit ein Landschloss. Mitten drinn in dieser Siedlung eine zunächst unscheinbare Kirche, von einem kleinen Friedhof umgeben. Die Bauweise aus rohen erdfarbenen Bruchsteinen lässt die gesamte Siedlung bescheiden und gleichförmig erscheinen. Der Schritt in die bergende Dunkelheit der Kirche gerät dann zur völligen Überraschung, überwältigendes Spiel von Raum und Licht. Der schlichte romanische Bau macht die Stille förmlich greifbar.

Am Samstag radle ich nochmals „voie verte“ auf der ehemaligen Bahnlinie durch das Tal der Grosne (ehemals von Macon via Cluny nach Chalon-sur-Saône). Diesmal bis Taizé: prägende Erinnerungen aus der Jugendzeit konnte ich hier nochmals auffrischen. Die ökumenische Gemeinschaft der „frères de Taizé“ zieht anscheinend auch heute noch Jugendliche aus der ganzen Welt an, welche sich von der Spiritualität dieses Ortes angesprochen fühlen. Für mich war’s damals in den siebziger Jahren ein „Tor zur Welt“; die „überraschende“ Entdeckung des Jugendlichen, dass es jenseits der Grenzen der kleinen Schweiz auch junge Menschen gibt, die zwar anders sprechen und trotzdem die gleichen Lebensfragen mit sich tragen. Konkret erfahrbare Internationalität der 70er-Jahre, als Handy, Internet und Social Media noch nicht existierten. Die riesigen Zeltlager in der Zeit um Ostern auf diesem Hügel, die vielen Gespräche in buntem Sprachgemisch, die Spaziergänge nach Ameugny, wo es diesen besonderen Geisskäse zu kaufen gab. Dazu ein Baguette und eine Flasche Rotwein und fertig ist die unvergessliche Runde auf der Kirchentreppe. Heute sind es die beiden kleinen und schlichten romanischen Dorfkirchen von Taizé und Ameugny, welche in ihrer zeitlosen Präsenz bei mir immer noch den stärksten Eindruck hinterlassen.

Am Sonntag wechseln wir die Szenerie. Ein Zwischenhalt in Cluny, jenem historisch prägenden Ort, in dem im Mittelalter die grösste Kirche und Klosteranlage Europas bzw. der damaligen Welt stand. Grösser gar als der Petersdom in Rom. Der prägende Einfluss und die Macht des cluniazensischen Benediktiner-Ordens war Ausgangspunkt vieler Klostergründungen im ganzen heutigen Europa. Schliesslich auch Ausgangspunkt für eine Gegenbewegung, der die Vermischung von Spiritualität und weltlicher Macht höchst suspekt war. In Rückbesinnung auf die spirituelle Grundhaltung entstanden neue Ordensgemeinschaften (Kartäuser, Trappisten), welche wieder handwerkliche Arbeit, Kontemplation, Brüderlichkeit und selbstgewählte Mittellosigkeit zum Ideal erhoben.

Wir wechseln anschliessend vom Tal der Saône und der Grosne bzw. vom südlichen Burgund ins Charolais, ins Einzugsgebiet der Loire. Das Charolais ist eine liebliche Weide-Hügel-Landschaft und die Heimat der weissen Charolais-Rinder.

Paray-le-Monial, die nächste Stadt mit einer bekannten romanischen Basilika, in wunderbarer Lage am Flüsschen Bourbince: die spiegelnde Wasserfläche ermöglicht ein einmaliges Foto-Sujet. Den Franzosen sei es einer der wichtigsten Pilgerorte überhaupt, auch heute noch. Tatsächlich erleben wir an diesem späten Sonntag-Nachmittag, wie „am laufenden Band“ Gruppierungen eintreffen, die hier nacheinander ihre religiösen Feiern abhalten; zu Fuss und mit Rucksäcken bepackt die Einen, Familien mit kleinen Kindern und Kinderwagen, traditionell gekleidete Gläubige und lateinische Gesänge bei den Andern.

Ganz in der Nähe hält dieses charmante Städtchen einen gut ausgestatteten Stellplatz für Wohnmobilisten bereit. Hervorragend geeignet als Ausgangspunkt für eine weitere Radtour auf einer „voie verte“, diesmal eine ehemaliger Treidelpfad entlang dem Canal du Centre. An dessen Ausgangspunkt in Digoin an der Loire beeindruckt der Pont Canal, eine wasserführende Trogbrücke, welche die Schiffe auf dem Canal du Centre über die Loire führt und dahinter in den Canal lateral à la Loire einbiegen lässt.

Baum-Charaktere

Ein besonderer Eindruck einer Vorfrühlings-Reise im Loire-Tal (bzw. in Frankreich generell) sind die unzähligen Baum-Charaktere. Riesige Felder, unendliche Weiten, und darin eingestreut sehr viele allein stehende Eichen. Und jetzt, da das Laubwerk noch nicht ausgetrieben hat, kommen die Silhouetten und damit gewissermassen die Charaktere der einzelnen Bäume besonders gut zum Ausdruck. Starke Persönlichkeiten!
Hier einige Fotos:

eine interaktive Reise … dank Deiner Tipps

Klar, grundsätzlich ist jede Reise interaktiv. Wenn man nicht mit Scheuklappen unterwegs ist, dann „lauern“ überall spannende und bereichernde Begegnungen, eindrückliche Bilder, berührende Zu-Fälle und lustige Erlebnisse. Zudem wollen wir uns ja auch da und dort einlassen und unsererseits aktiv werden.

Da ist aber noch eine andere Dimension. Anlässlich unserer beider 60.Geburtstage luden wir zu einem Fest im Freundeskreis. Und da hört man dann öfters die Frage: was wünscht ihr euch? was können wir mitbringen? Da wir lieber reisen als „abstauben“ wünschen wir uns deshalb „interaktive Geschenke“ und das geht so:

Bestimmt hast Du eine ganz besondere Erinnerung an einen wunderschönen Stellplatz, an einen ganz besonderen Menschen, irgendwo in Europa. Vielleicht ist es eine entfernt verwandte Person, vielleicht ein früherer Praktikumsplatz, vielleicht ein besonderer Ferienort, ein origineller Wirt in einem Restaurant am See, ein uriger Bauernhof, ein schön gelegener Wander-Parkplatz, eine ehemalige Schulfreundin die jetzt im Ausland lebt, eine hochbetagte und lebenslustige Tante, ein Ferienhaus. Wir lassen uns solche persönlichen (Geheim-)Tipps oder Adressen schenken … und versuchen, solche Stationen in unsere Reise einzubauen. Wir überbringen dann Deine Grüsse, knüpfen am gemeinsamen Bekanntschafts-Netz weiter und senden eine Postkarte von diesem auch für Dich besonderen Ort. Ergibt sich dadurch eine Stellplatz-Möglichkeit bei Privatpersonen, so werden wir selbstverständlich eine materielle oder immaterielle Gegenleistung erbringen.

Unsere Route wie auch unsere Begegnungen werden wir auf dieser Website dokumentieren. Die persönlichen Adressen bzw. die deklarierten Geheim-Tipps werden wir jedoch als solche behandeln und höchstens in anonymisierter oder umschreibender Form erwähnen.

Deine Tipps nehmen wir gerne entgegen als Kommentar zu diesem Beitrag oder per E-Mail.