plastic world

Das Paddeln auf den serbischen und bulgarischen Abschnitten der Donau hat auch eine beklemmende Seite. Nirgends sonst ist mir soviel Unbekümmertheit und Achtlosigkeit im Umgang mit Abfall begegnet; die Sensibilisierung bezüglich Plastik-Verschmutzung bzw. Plastik-Vermeidung scheint hier noch kaum angekommen zu sein. Erfahrene TID’ler beruhigen mich zwar diesbezüglich und bekräftigen, es sei schon deutlich besser wie noch vor 10 Jahren. Alles eine Frage des Blickwinkels offenbar …. jedenfalls bleibt noch viel zu tun. Um einen visuellen Eindruck zu gewinnen:

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Entlang den Gräben

Kurz vor unserer Abreise im März erhielten wir ein interessantes Buch geschenkt. Jetzt nach unserer Rückkehr komme ich dazu, es zu lesen: Navid Kermani, Entlang den Gräben – eine Reise durch das östliche Europa bis nach Isfahan, C.H.Beck-Verlag, 2018

Navid Kermani ist im Auftrag des SPIEGEL von seiner Heimatstadt Köln durch den Osten Europas bis nach Isfahan, die Heimat seiner Eltern gereist. Am sechzehnten Tag, an der Grenze von Weissrussland zur Ukraine beschreibt er eine Begegnung, die mich in ihrem Gehalt besonders anspricht und deren Fragen mich bei unserem Reiseprojekt auch begleiten:
(S.106) „Nach und nach stellt sich die Illusion ein, die ich sonst nur von fernen Ländern kenne: der erste zu sein, der einen neuen Kontinent betritt. Etwas von diesem Gefühl muss auch den jungen Schriftsteller Andrej Horwath ergriffen haben, der in ein winziges Dorf nahe der Grenze gezogen ist und in einem vielgelesenen Blog von seinem neuen Leben erzählt. Auf dem offenen Feuer hat er Gemüse, Eier und Kartoffeln für uns gekocht.“ ….
(S.110) „Ich sage Andrej, dass es Menschen wie ihn brauche, die gewissermassen übersetzen. Ohne ihn hätte ich, hätten nicht einmal meine Begleiter aus Minsk einen Zugang zu dieser dörflichen Welt am Rande Europas gefunden. … <Ja, aber man muss länger bleiben, wenn man verstehen will> gibt er zu bedenken. <Das stimmt>, antworte ich. <Aber manches versteht man auch erst, wenn man reist, nicht wenn man bleibt.> <Kann sein>, sagt Andrej Horwath, der wegen seiner Ziege immer nur für einen Tag verreisen kann.“

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Das Meer in der Eifel – die Maare

Das Thema Geologie und Erdgeschichte lässt uns offenbar nicht los. Ziemlich zu-fällig haben wir auf unserer Heimreise aus Belgien die Vulkan-Eifel als Zwischenstopp ausgewählt; Vulkan-Eifel tönt ja bereits ein wenig abenteuerlich. Und wie: ein Stellplatz mit 1a-Aussicht auf die Hügellandschaft der Eifel, und dabei stehen wir auf einem Kraterrand. Ja, hinter uns geht es rund 20 Meter in die Tiefe. Nach dem Abstieg durch einen lichten Buchenwald steht man vor einem praktisch kreisrunden See, dem Pulvermaar. Aus der Vogelperspektive muss dies wie ein „Auge der Eifel“ erscheinen. Und das Beste in diesen heissen Tagen ist, dass der klare blaue Maarsee auch zum Bade lädt. Wunderbar.

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Im Garten – Therapieort für Menschen mit Helfersyndrom

In Belgien führt uns ein Workaway-Einsatz auf ein ganz besonderes Stück Land. Während belgische Einfamilienhausquartiere zumeist von geometrisch klaren und adretten Vorgärten umgeben sind, treffen wir hier auf ein speziell grünes Biotop: Der frühere Landwirtschaftsbetrieb wurde die letzten 25 Jahre über als B&B und als Ort für Familienferien betrieben, in einem kreativen, einfachen und wirklich familiären Rahmen. Der Besitzer und unser Gastgeber ist sich bewusst, dass seine Art des Gärtnerns polarisiere: die Einen treten hier in ein „grünes Paradies“, für Andere sei es eine „grüne Hölle“ oder zumindest ein chaotischer Urwald.

Tatsächlich fühlen auch wir uns herausgefordert, das Terrain ist riesig und die Natur hat hier das Wort: Feigenbäume, Brombeeren, Johannisbeeren, Kiwis und Kiwi-Beeren, Brennnesseln, Nachtkerzen, Schöllkraut, Wermut, Schilf, Weiden, Erlen, Obstbäume …. Vieles wächst dort wo es will.  Von welchen Prinzipien er sich den leiten lasse, wollte ich von unserem Host wissen. Bio-Landbau? Ja, teilweise, jedenfalls verwende er keine Düngemittel, Herbizide etc.. Permakultur? Ja, nein, nicht konsequent, aber schon in diese Richtung. Jedenfalls sei ihm jedes Grün bedeutend lieber als ein „nackter Boden“. Gemulcht wird nicht aktiv, hingegen werde jede Pflanze die er ausgerissen hat am selben Ort liegengelassen, damit sei der Boden gleich wieder bedeckt. Lazy Gardening vielleicht? Ja, teilweise. Ein grosses Glashaus, verschiedene Tunnels, ein Gemüsegarten lassen sich ausmachen. Und unübersehbar ist die Vorliebe des Besitzers, hier im flandrischen Flachland Wein anzubauen und selbst Wein zu keltern. Die Weinstöcke geniessen hier wohl einen Sonder-Status. Dazu grosse Gemüsebeete mit zumeist selbstgezogenen Setzlingen. Und zwischen Allem tummeln sich zahlreiche Hühner, die den Boden bearbeiten; Schafe, ein Pferd und zwei Katzen mit Jungen. In einem alten Campingwagen zwei Bienenstöcke. Tag und Nacht ein immenses Vogel-Gezwitscher. Viele Schmetterlinge, Käfer …. und Abends auch Mücken; die zahlreichen Feuchtstellen und Klärweiher bieten das entsprechende Milieu.

Die scheinbar grenzenlose Toleranz der Natur gegenüber ist wohl im Wesen des Gärtners angelegt. „Es ist was es ist“ heisst es im Gedicht von Erich Fried; „es ist wie es ist“ sagt diese emotionsfreie Akzeptanz. Als Workawayer fühlen wir uns ebenso herzlich willkommen und akzeptiert. Wir haben ein eigenes Gartenhaus mit Zimmer, Aufenthaltsraum und Dusche/WC. Wir sind DA. Das ist aber auch schon alles. Wir versuchen, den „roten bzw. grünen Faden“ zu entdecken, die beabsichtigte Ordnung zu verstehen … und unseren Teil zu leisten, um in diesem grünen Durcheinander etwas Übersicht entstehen zu lassen, um den gewünschten Pflanzen optimale Wachstumsbedingungen zu ermöglichen. Wir arbeiten viel und schwitzen stark – bei zeitweise sehr heissem Wetter. Durch Dornengebüsch, Schilf- und Pestwurz-Dickicht und wucherndes Grün gilt es, die darunterliegenden Wege wieder sicht- und begehbar zu machen. Mähen, Jäten, an den Weinstöcken die Triebe ausbrechen. Wir ertappen uns dabei, wie wir nach getaner Arbeit eine Anerkennung, ein Dankeschön, eine Bestätigung oder ein Echo erwarten. Hier erhalten wir die Chance, unseren Einsatz um seiner selbst Willen zu leisten, unabhängig von Lob oder Tadel, gut oder schlecht. Die grüne Oase steht uns zur Verfügung, das reicht doch schon!?!

Interessante Tischgespräche, ein spannender Austausch zur Haltung des Gärtnerns. Eine klare und „schlüssige“ Konzeption ist aber nicht zu erwarten; seine ganz eigene Art ist Programm. In meinem Drang „zu verstehen“, „den Sinn zu erkennen“ und „Überblick zu gewinnen“,  laufe ich da ziemlich ins Leere, fühle mich herausgefordert und erhalte viel Stoff zur hinterfragenden Selbst-Reflexion. Unserem Host geht es nicht anders: wenn Du den Garten übernehmen würdest, dann sähe er wohl in wenigen Monaten ganz anders aus, meint er lakonisch. Ja und nein; ich empfinde sehr viel Sympathie für die kreative und durch die Natur gegebene Atmosphäre, ich würde aber bestimmt stärker „ordnend“ eingreifen, bewusste Zonen definieren und eine wesentlich „geplantere“ Vielfalt anstreben. Ich würde wohl eher der bewusst beobachtenden und klar reflektierenden Haltung der Permakultur folgen und „geplant“ Kreisläufe ermöglichen.

Bei knapp zweiwöchigem Aufenthalt liegt es nicht an mir, tiefschürfende Fragen zu stellen. Vielmehr übe ich mich meinerseits in Akzeptanz. So überrascht mich jedenfalls, dass ich bereits nach 10 Tagen eine gewisse Vertrautheit entwickelt hatte, dass „Dreck“ und „Durcheinander“ an Appell-Charakter verloren hatten und dass ich meinen Ordnungswillen ein wenig in Zaum halten konnte.
Es bleiben aber durchaus noch offene Fragen und das ist auch gut so.
(Wird hier das Potenzial des Gartens bewusst nicht ausgeschöpft? Wo liegt die Grenze zwischen naturnah gärtnern und Unordnung/Chaos? Ist „Aufräumen“ eine Kompetenz oder geht das wider die Natur? …. und Einige mehr)

Zwei Tage später schickt uns Lukas eine Foto aus unserem eigenen „antiautoritären Garten“, der in diesen Monaten tatsächlich nach eigenem Gusto sich entfalten konnte. Wir sind ja gespannt auf die Heimkehr. Lukas lieferte denn auch gleich noch einen Link dazu: „der antiautoritäre Garten“ ist ein Buch im Kosmos-Verlag. Die Autorin Simone Kern hat sich als Garten- und Landschaftsarchitektin gefragt, wie angesichts der Klimaveränderung eine angemessene Gartenpraxis aussehen könnte. Da bin ich ja gespannt auf dieses Konzept.

Bilder aus dem Garten

Was bleibt …. ist die Liebe

Es dürfte 1977 gewesen sein, als ich 19-jährig meine erste Reise alleine per Autostopp durch Frankreich unternahm. Die Reisestrecke ergab sich damals aus den Mitfahrgelegenheiten: Saarbrücken, Metz, Caen in der Normandie, Bayeux, Mont St.Michel, Binic in der Bretagne, Saint Brieux, Paris, Dijon, Taizé … so etwa die Etappenziele. Was mir besonders in Erinnerung blieb, nebst den üblichen Sehenswürdigkeiten? … In Binic ass ich die ersten Langoustines meines Lebens; vom Kellner musste ich mir erklären lassen, wie man diese isst. Im Hintergrund lief ein französischer Chanson, der damals gerade hoch im Kurs war: „Prendre un enfant par la main“ von Yves Duteil. Ein sehr feinfühliger Text, der es in sich hat. Fabienne Marsaudon, welche wir beim Brel-Barbara-Konzert erleben durften, hat mir dieses schöne Lied wieder in Erinnerung gerufen. Unten der Liedtext in Originalsprache (weil er nur in französisch so melodiös und prägnant klingt).

Und der Klassiker von Jacques Brel durfte natürlich auch nicht fehlen: Quand on a que l’amour … wunderschön schlicht und glaubwürdig interpretiert von Fabienne Marsaudon.

Zwei Liedtexte, die für mich eine starke Antithese darstellen zur scheinbaren Zwangsläufigkeit von Krieg, Gewalt, Profitgier und Eigennützigkeit.

PRENDRE UN ENFANT PAR LA MAIN (Yves Duteil, 1977)

Prendre un enfant par la main
Pour l’emmener vers demain
Pour lui donner la confiance en son pas
Prendre un enfant pour un roi

Prendre un enfant dans ses bras
Et pour la première fois
Sécher ses larmes en étouffant de joie
Prendre un enfant dans ses bras

Prendre un enfant pas le coeur
Pour soulager ses malheurs
Tout doucement sans parler sans pudeur
Prendre un enfant sur son coeur

Prendre un enfant dans ses bras
Mais pour la première fois
Verser des larmes en étouffant sa joie
Prendre un enfant contre soi

dou, dou, dou, dou…

Prendre un enfant par la main
Et lui chanter des refrains
Pour qu’il s’endorme à la tombé du jour
Prendre un enfant par l’amour

Prendre un enfant comme il vient
Et consoller ses chagrins
Vivre sa vie des années et soudain
Prendre un enfant par la main

En regardant tou au bout du chemin
Prendre un enfant pour le sien

Quand on n’a que l’amour (Jacques Brel, 1956)

Quand on a que l’amour 
A s’offrir en partage 
Au jour du grand voyage 
Qu’est notre grand amour

Quand on a que l’amour 
Mon amour toi et moi 
Pour qu’éclatent de joie 
Chaque heure et chaque jour 

Quand on a que l’amour 
Pour vivre nos promesses 
Sans nulle autre richesse 
Que d’y croire toujours 

Quand on a que l’amour 
Pour meubler de merveilles 
Et couvrir de soleil 
La laideur des faubourgs 

Quand on a que l’amour 
Pour unique raison 
Pour unique chanson 
Et unique secours 

Quand on a que l’amour 
Pour habiller matin 
Pauvres et malandrins 
De manteaux de velours 

Quand on a que l’amour 
A offrir en prière 
Pour les maux de la terre 
En simple troubadour 

Quand on a que l’amour 
A offrir à ceux là 
Dont l’unique combat 
Est de chercher le jour 

Was bleibt?

Ich stehe am Strand des D-Day in der Normandie, bei Longues-sur-Mer nördlich von Bayeux. Vor einer Woche wurde an dieser Küste dem „Débarquement“ der Alliierten vor 75 Jahren gedacht. Mit diesem massiven Angriff sei das Ende der Nazi-Herrschaft eingeleitet und damit das Ende des zweiten Weltkrieges möglich geworden. Die französischen Medien haben intensiv darüber berichtet; Städte, Museen und Kulturveranstalter haben grosse Veranstaltungsreihen eingerichtet. Ausstellungen und Plakataushänge ehren die Soldaten und Helden von damals; durchaus auch die Heldinnen und Helden der „Résistance“ und die freiwillig solidarischen Einsätze der Zivilbevölkerung etwa in der zum „Lazarett“ mutierten Stadt Bayeux. In den Kirchen erinnern Plakatreihen an jene Menschen, die in den Grausamkeiten des Krieges ihre spirituelle Kraft entwickelt hatten und für Friede und Versöhnung eingestanden sind.

Der Blick auf die Küste mit Ihren Überresten von Befestigungs-Anlagen (und Massen-Friedhöfen) macht nachdenklich, sprachlos. Der Gedanke an das unermessliche Elend, das mit dem Krieg einherging, wirkt ohnmächtig. Gut, dass der Geschichte gedacht und der Sprachlosigkeit entgegen gewirkt wird. Bleibt zu hoffen, dass diese Veranstaltungen nicht bloss der „Glorifizierung“ und kommerziellen Interessen dienen.

Dieser Stein in meiner Hand lag am Strand des D-Day. Was er schon alles erlebt haben mag? Die Natur nimmt hier ihren Lauf, wirkt schlicht, schön, unversehrt. Die Kräfte der Ge-Zeit-en wirken unbeirrt weiter. Was ist wohl härter, Stein oder Wasser? (Gewalt oder Liebe?) Normalerweise sucht sich das Wasser den „Weg des geringsten Widerstands“, umspült den Stein, mäandriert durch die Landschaft. Doch ist es nicht genau dasselbe Wasser, das in stürmischer Brandung alles mitreisst und auch harte Steine in beharrlicher Bewegung rund schleift und schliesslich gar zu Sand zermahlt? Panta rhei – alles fliesst.

Woche 8 / 13.-19.Mai 2019

Das vergangene Wochenende stand ganz im Zeichen des Mittelalterfestes in Montreuil-Bellay, das mit einem eigenen Text- und Bildbeitrag dokumentiert ist. Am Sonntagnachmittag stiegen wir dann wieder aus unseren Kostümen sowie Rollen aus und besuchten zum Abschluss ein Orgelkonzert in der eindrücklichen romanischen Basilika von Cunault, nun wieder an der Loire westlich von Saumur. Fünfhundert Meter vor dem Ortseingang ein wunderschön gelegener Stellplatz im Hochwasserbett der Loire, auf welchem der Bäcker mit seinem R4 morgens um acht Uhr den Weckruf hupt. Wer steht schon nicht gerne auf, wenn einem das frische Brot praktisch ans Bett geliefert wird, herrlich. Dazu stahlblauer Himmel und strahlende Morgensonne; dies die positiven Nebeneffekte des kühlen Nordostwindes.

Am Montag besuchten wir „les hélices terrestres“, die irdene Helix des Künstlers Jacques Warminski (1946 – 1996) in Saint-Georges-les septs-Voies. Nochmals ein Eintauchen in die Thematik der Troglodytes (Höhlenwohnungen) im Anjou.
Der Sohn polnischer Flüchtlinge sei hier als Junge durch die Felder und Büsche der Gegend gestreift … und dabei durch einen überwachsenen Kamin ins Leere gestürzt. Er fand sich einige Meter tiefer in einer verlassenen und verwilderten Höhlenwohnung wieder, was offenbar seinen Entdeckerdrang entfachte. Er sei dann immer wieder hergekommen und habe allmählich die Überreste einer kompletten dörflichen Siedlung entdeckt. Im Laufe seines Studiums der Künste und seiner weiteren künstlerischen Tätigkeit (vorwiegend „de l’art éphémère“ – vergängliche Kunst im natürlichen Raum) sei ihm klar geworden, dass er mit jenem Sturz durch den Kamin recht eigentlich „in seine Berufung hineingefallen“ sei. Er machte es sich zur Aufgabe, die vormaligen Besitzer dieser Höhlenwohnungs-Ruinen ausfindig zu machen und allmählich sämtliche „cavités“ aufzukaufen. In den neunziger Jahren machte er sich daran, den Weiler „l‘ Orbière“ der Verwilderung zu entreissen, die Höhlen zugänglich zu machen und sie mit seinen künstlerischen Visionen auszugestalten. Das Spiel zwischen „konkav“ und „konvex“ zieht sich wie ein roter Faden durch sein unermüdliches Schaffen. Mit unerhörtem Körpereinsatz (er war selbst ein schwergewichtiger riesiger Mann) und mit Unterstützung von Helfern habe er Tausende von Kubikmetern Sandstein ausgehoben, weitere Höhlen geschlagen, Symbole und Ornamente eingebracht …. und mit Tausenden Kubikmetern Beton einen nach oben offenen Ampitheater-ähnlichen Trichter gestaltet: das Pendant zu seiner unterirdischen Welt. Nach rund fünf Jahren und nach Abschluss der zentralen Elemente seines Projektes sei er 1996 gestorben. Ein kompetenter und facettenreicher Artikel über den Künstler findet sich hier (französisch).

Zu schön, dass wir noch am selben Abend unseren letzten Besuch im Anjou machen dürfen: wir sind eingeladen, Guy (den pensionierten 70-jährigen Fouée-Bäcker vom Tag der offenen Tür) und seine Frau Nicole in deren troglodytischem Zuhause in Montsoreau zu besuchen. Die beiden haben nach der Pensionierung die bisherige Ferienwohnung zu ihrem Haupt-Wohnsitz gemacht. Abgesehen von einem Wintergarten-ähnlichen Anbau aus Holz und Glas befinden sich noch sämtliche ihrer Räume in Sandstein-Höhlen. Die alten Waschtröge, das Lager für die Weinfässer, Weinpresse und Wein-Trog, offener Kamin und Kochstelle – das ist alles noch sichtbar und integriert. Wände und Decken sind gekalkt und die Böden mit alten Tonplatten und teilweise mit Holzparkett komfortabel ausgelegt. Zeitgemässe Annehmlichkeiten wie Strom, Wasser, Toiletten und Dusche sind eingebaut. Geheizt wird aber nach wie vor nur mit Holz, entweder im geschlossenen Feuerraum (gewissermassen im Sockel des Cheminées – mit automatischer Warmluft-Abgabe an den Wohnraum) oder in der offenen Feuerstelle mit Kamin. Die Temperatur sei ganzjährig recht angenehm, wenn auch mit 18 bis knapp 20 Grad für die „normalen“ Gewohnheiten unserer Zeit doch eine Herausforderung. Einzig der Nordostwind, der zufällig auch an diesem Abend bläst, sei unangenehm und drücke den Rauch in den Kamin zurück. Das tut der guten Stimmung und der herzlichen und gastlichen Atmosphäre aber keinen Abbruch. Wunderbare Gespräche bei Quiche und Wein; herzlichen Dank, Nicole und Guy, und hoffentlich auf Wiedersehen eines Tages in der Schweiz.

Damit beschliessen wir unseren Aufenthalt im Anjou, in dieser einzigartigen Gegend im unteren Loire-Tal, welche einst Ufer und Untergrund eines längst verschwundenen Meeres war. Daher die ausgeprägte Fruchtbarkeit, die Eignung des Bodens für den Weinbau – und daher die Tatsache, dass in diesen Böden noch heute rund 14’000 Höhlen und unzählige Kilometer unterirdischer Weinkeller, Champignon-Kulturen etc. zu finden sind. Den meisten Menschen ist das Loire-Tal als Tal der prunkvollen Schlösser bekannt. Wir durften in dieser Woche auch eindrückliche Blicke in den Untergrund machen, erleben woher das Baumaterial für diese Schlösser überhaupt kam … und eine sympathische Welt mit originellen und herzlichen Menschen „hinter und unter den Fassaden“ kennenlernen.   

Da ist noch etwas: Am Mittelalterfest in Montreuil-Bellay hatte eine Gruppe engagierter Jugendlicher einen Informationsstand aufgebaut. Sie engagieren sich partnerschaftlich für ein Behindertenheim in Ourika, in einem Tal des Hohen Atlas unweit von Marrakech in Marrokko. Bisher wurde Geld gesammelt, um Lehrkräfte und praktischen Unterricht in einem Schulgarten zu finanzieren. Heute nun werden getrocknete Gewürze aus jenem Garten verkauft. Ziel der nächsten Finanzierungsaktion ist es, einigen jener Jugendlichen mit körperlicher Behinderung diesen Sommer eine Reise nach Montreuil-Bellay zu ermöglichen. Da helfe ich gerne mit, verbinden mich doch gleich mehrere Leidenschaften mit dieser Aktion: Marrokko war ein unvergesslich schönes und gastliches Land für meine Fahrrad-Touren, dann teile ich sehr gerne die Vision einer solidarischen und gerechten Gesellschaft mit gleichwertigen Chancen auch für Menschen mit Behinderung … und schliesslich kann ich mir durchaus vorstellen, dass einer meiner Workaway-Einsätze im kommenden Winter auch in Ourika stattfinden könnte. Super Engagement dieser Jugendlichen aus Montreuil-Bellay!
Beim Büchsen-Schiessen an ihrem Stand gelang es mir, 8 von 10 Büchsen zu treffen. Nicht genug für den Hauptpreis, einen ganzen geräucherten Beinschinken. Überraschenderweise brachte mir Guy aber tags darauf eine Flasche Wein, die ich anscheinend gewonnen hätte. Zum Wohl!

Diese Woche erfuhren wir, dass Jean Vanier am 7.Mai neunzigjährig einem Krebsleiden erlegen sei. Am Donnerstag 16.Mai findet die Beerdigung in Trosly-Breuil bei Paris statt. Die Nachricht (vgl. den Nachruf in der NZZ am Sonntag) berührt uns, zumal wir ja gerade auf dem Weg sind zu einer Arche-Gemeinschaft in der Bretagne. Jean Vanier, ehemaliger kanadischer Marineoffizier, dann Philosophie- und Theologieprofessor begann in jungen Jahren, sich radikal für Menschen mit geistiger Behinderung einzusetzen und mit ihnen in würdiger und gleichwertiger Form zusammenzuleben. Daraus entstand die Arche-Bewegung, welche heute 152 Gemeinschaften auf der ganzen Welt umfasst. Menschen, die damals noch in unwürdigster Weise in psychiatrischen Kliniken dahin vegetierten, haben inzwischen auch andernorts in unserer Gesellschaft Akzeptanz, Existenzsicherung und angemessene Versorgung erfahren. Das besondere – spirituell und jesuanisch motivierte – radikale Engagement für ein gleichwertiges Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung, wie es die Arche-Bewegung postuliert und lebt, stellt aber immer noch einen speziellen Leuchtturm dar: denn professionelles Handeln für jemanden (gegen Geld, Status und Anerkennung) ist meist nochmal was Anderes als ganz persönliches, uneigennützig solidarisches Engagement. 

Dieser feine Unterschied ist nicht leicht zu fassen. Der Hirnforscher Gerald Hüther spricht in seinem Buch über die Würde des Menschen von der Unterscheidung zwischen Objekt und Subjekt. Vielleicht ist dies eine passende Beschreibung für diesen feinen Unterschied: im einen Fall leiste ich einen Job, setze meine Fachlichkeit und meine Energie ein, halte aber eine sogenannt „professionelle Distanz“ und mache einen andern Menschen damit zum Objekt meiner Bemühungen, Forschungen etc.. Im andern Fall lasse ich mich auf eine Begegnung von Mensch zu Mensch ein, lasse mich persönlich berühren und begegne damit einem gleichwertigen Subjekt. (Selbstverständlich sei damit nicht ausgeschlossen, dass auch in institutioneller fachlicher Arbeit würdevolle Beziehungen von Subjekt zu Subjekt geschehen können, so gut wie auch das Wirken in Arche-Gemeinschaften nicht automatisch frei von entwürdigenden Objektivierungen ist.)

Die Gefahr ist unübersehbar, dass unsere Gesellschaft allenthalben zur Objektivierung neigt – zur „Vermarktung“ auch persönlichster Ressourcen – und dass persönliche Begegnungen zwischen Subjekten, ein sich-berühren-lassen von Mensch zu Mensch, für dieses profit- und machtgetriebene System tendenziell unkontrollierbar und damit unerwünscht sind.

Ich will mich ganz entschieden für das subversive Potenzial der persönlichen Begegnung und für das Prinzip der menschlichen Würde und Freiheit einsetzen. Lassen wir uns diese ursprünglichste Fähigkeit, den konkreten zwischenmenschlichen Austausch von Gütern und Ressourcen, das Verschenken von Zeit, Gastfreundschaft und Freude, nie nehmen. Denn kein Roboter kann ersetzen, was persönliches gegenseitiges Interesse im Tiefsten ausmacht. 

Jean Vanier, aber auch zahlreiche jener einfachen und bodenständigen Menschen, denen wir in den letzten Wochen begegnen durften, stehen für dieses persönliche Engagement: einfach leben. EINFACH leben. Einfach LEBEN. Oder in den Worten des Philosophen Martin Buber: Alles wirkliche Leben ist Begegnung.

Darin liegt wohl der wahre Antrieb auch für unser Reiseprojekt.

Der Dienstag ist ein ausgesprochener Reisetag: aus der Gegend von Saumur fahren wir nach La Gacilly am Eingang zur Bretagne. La Gacilly ist Herkunfts- und Gründungsort, aber auch kultureller Mittelpunkt der weltweiten Natur-Kosmetiklinie „Yves Rocher“. Der einstmals verschlafene und von Abwanderung bedrohte Ort ist heute ein lebendiges Künstlerdorf, touristischer Anziehungspunkt und eindrückliches Zeugnis der visionären und innovativen Kraft von Yves Rocher. Das sehr modern inszenierte Museum und die jährlich stattfindenden Foto-Ausstellungen im Naturraum sind tatsächlich eine Reise wert.  

Via Rochefort-en-Terre führt uns der Weg anschliessend auf einen idyllisch gelegenen kleinen Bauernhof-Camping direkt am „Golfe du Morbihan“ (Noyalo, 47°36’41“N, 02°41’43“W). Erstmals sehen wir wieder Meerwasser und das eindrückliche Spiel der Gezeiten, wenn auch noch nicht das offene Meer. Dieses sehen wir erst auf der Fahrradtour über die Halbinsel („Presqu’île de Rhuys“), als wir das Château de Suscinio besuchen: prächtig gelegen zwischen Lagunen und Moorlandschaft, das einstige Jagdschloss der Ducs de Bretagne.

Ausspannen, Schreiben, Lesen, (elektronisch) Kontakte pflegen – und erstmals in diesem Jahr die sommerliche Stimmung geniessen. Wunderbar.

Am Freitag und Samstag besuchen wir die Altstadt von VANNES; abwechslungsreiche Szenerie für einen eher regnerischen Tag. Und schliesslich die Weiterfahrt an unser nächstes Zwischenziel: für Samstagabend 18.Mai sind wir in Clohars-Fouesnant angemeldet, bei Nicolas und Monique bzw. zum nächsten Projekteinsatz in der Arche-Gemeinschaft „Le Caillou Blanc“, wo wir schon im Jahr 1991 zusammen mit unseren Kindern einen fünfmonatigen Einsatz machten.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Bislang fühlte ich mich gegenüber Rollenspielen und Theaterspielen sehr distanziert; ja schon das Kostümieren an Fasnacht war/ist mir eher fremd. Zu stark mein Bedürfnis, stets authentisch und echt zu sein. So war es denn für mich selbst überraschend, wie spontan und entschlossen ich mich auf die Kleidermiete am Mittelalterfest einlassen konnte. Mir war auch sofort klar, dass der Habit des Zisterzienser-Mönchs mein Gewand sei für dieses Wochenende. Es machte schliesslich richtig Spass, in diese Rolle zu schlüpfen und mir den bisher unbekannten und mittelalterlich geprägten Ort aus dieser Perspektive zu erschliessen.

Besonders schön der Spaziergang am frühen Sonntagmorgen durch den noch verschlafenen Ort. Ein herrlicher Sonnentag mit tiefblauem Himmel kündigt sich an; die Rosenblüten leuchten heute speziell frisch und das Wasser des Thouet kräuselt sich blauer denn je. Tatsächlich ein sonderbares Gefühl, gemessenen Schrittes entlang des Ufers und durch den Ort zu schreiten: das Gefühl der Dankbarkeit für die Schöpfung stellt sich ganz automatisch ein. Dann die ersten Begegnungen, ein Mann mit der Zeitung unterm Arm, jemand kommt vom Bäcker, hinter den ersten Marktständen des Mittelalter-Handwerker-Marktes regt es sich. Eine junge dynamische Familienfrau im grossen schwarzen SUV braust davon … bestimmt zu einem wichtigen Termin.

Was, wenn mich jetzt jemand fragen würde, ob ich ein echter Mönch sei? Bin ich oder spiele ich? So genau könnte ich das nicht einmal sagen, denn mir ist gerade sehr wohl in der Haut und ich geniesse diese Perspektive. Ja, in diesem Moment BIN ich, ganz eindeutig.

Ist die Wirklichkeit jener Frau im SUV nun wirklicher, wichtiger, stimmiger als meine Wirklichkeit? Oder bin ich in diesem Moment gar bewusster und gegenwärtiger unterwegs als sie? Was ist den wirklich? Und was wichtig? Da kommt mir der Ausspruch des originellen und höchst eigenständigen Waldviertler Schuhfabrikanten und Unternehmers Hermann Staudinger in den Sinn. In seinem Firmenleitbild steht an erster Stelle: das Wichtigste im Leben ist das Leben!
Ja tatsächlich! Und ich möchte gar noch ergänzen: das Spannendste, das Überraschendste und das Sinnvollste wohl auch.

Kleider machen Leute – und Kutten machen Mönche: jedenfalls wurde ich an diesem Wochenende vielfach angesprochen, um Absolution gebeten, zur Beichte aufgefordert oder ans nächste Stundengebet erinnert. Auch eine Form der Kontaktaufnahme. Und offenbar hat die Kleidung eine deutliche Wirkung.

Inzwischen habe ich das Mönchgewand wieder abgelegt und der Vermieterin zurückgegeben. Sehr dankbar für diese spannende Erfahrung. Das Spielen mit den verschiedenen Wirklichkeiten möchte ich aber noch weiter ausprobieren. Bin ja gespannt, was noch alles auf uns wartet.

Woche 7 / 6. – 12.Mai 2019

Im Rückblick betrachtet könnte man wohl sagen, diese Woche habe unserer Selbst-Vergewisserung gedient. Wir haben den Workaway-Einsatz im Petit Thouars abgeschlossen und uns wieder auf den Weg gemacht. Jeweils zwei Nächte am selben Platz zu stehen, hat sich gewissermassen als unser natürlicher Rhythmus etabliert: 2x auf dem Stellplatz in Turquant, 2x auf dem Camping municipal von Doué-la-Fontaine und 2x auf dem Camping von Montreuil-Bellay. Das gibt Abwechslung und gleichzeitig eine minimale Kontinuität, ausreichend Zeit zum Blog nachführen, gemütliches Kennenlernen neuer Gegenden …. und sogar ein Coiffeurbesuch lag drinn.

Man möchte meinen, wir seien dauernd auf Achse. Die Verschiebungen in dieser Woche waren hingegen sehr überschaubar: zuerst 16km von St.Germain nach Turquant, dann 27km von Turquant nach Doué und schliesslich 18 km von Doué nach Montreuil. Nicht mal halb so viele Kilometer, wie wenn wir jeweils von Trogen nach St.Gallen zur Arbeit gefahren sind. Und wenn man die bisherigen Kilometer betrachtet: 1750km seit unserer Abfahrt in Trogen am 23.März 2019, so macht dies in knapp sieben Wochen rund 250km pro Woche. Also völlig im normalen Schnitt unserer bisherigen Lebensweise bzw. eher noch weniger km-Leistung.

Beim Blick in die Bord-Buchhaltung ist sofort klar, dass wir mit unserem bisherigen Reisekonzept sehr günstig durchkommen. Bei CHF 1500.- in knapp sieben Wochen entspricht dies gut CHF 200.- pro Woche und somit ca. CHF 30.- pro Tag. Dass wir uns noch einige Flaschen Wein als Naturalie dazu verdient haben, ist noch nicht eingerechnet.

Am Wichtigsten jedoch die emotionale Buchhaltung: hätten wir Striche an die Decke gemalt bei jedem dankbaren, bestätigenden, zufriedenen Jauchzer oder Seufzer in dieser Woche, wir hätten damit wohl schon eine ganze Jass-Tafel gefüllt. Immer wieder kurze Momente der gegenseitigen Bestätigung: ja, wir haben es gut, es ist uns äusserst wohl mit diesem Reisekonzept, spannend und abwechslungsreich, überhaupt nicht langweilig, und unsere kleine eigene Höhle im Campscout-Revolution ist uns immer wieder wohlig-warme Heimat. Die zahlreichen zu-fälligen Begegnungen sind intensiv und herzerwärmend; und wir stellen fest, dass unsere Kommunikation mit den Lieben zuhause nicht weniger ist wie wenn wir eine normale Arbeitswoche absolvierten: mit WhatsApp-Mitteilungen, E-Mails, Postcards und zeitweiligen Telefonaten bleiben wir in Kontakt. Einfach „sauschööön“ … wie es schon im Blog von Lorenz Becker immer wieder tönte; ich kann das nur bestätigen.

Die Besichtigungen und Begebenheiten dieser Woche sind in einzelnen thematischen Blog-Beiträgen (Rochmeunier; Champignonnière; Excursion St.Nicolas; klein aber fein; Mystère des Faluns) dokumentiert und werden deshalb hier nicht erneut erwähnt.

Der Mittwoch 8.Mai war nationaler Feiertag in Frankreich: in Erinnerung an das Ende des zweiten Weltkriegs. Gut, gibt es diese Tradition gegen das Vergessen immer noch, wenn auch zuweilen mit viel Uniform und militärischen Ehren zelebriert. In den kleineren Gemeinden scheint dies aber recht bodenständig und persönlich abzulaufen, näher an den wirklichen Sorgen und Fragen der kleinen Leute. Und es fällt uns auf, dass auch im Radio in diesen Tagen viel reflektiert wird über den – zunehmend bedrohten – Frieden in Europa und über die Notwendigkeit eines eigentlichen europäischen Friedens-Ministeriums. 

Unser Highlight der Woche: am 8.Mai sind wir auf der Strasse einem ganz besonderen Gefährt begegnet – Fahrenden der bewussten Art. Ein Planwagen, liebevoll gezimmert und mit vielen kleinen Details ausstaffiert, gemächlich gezogen von zwei Acker-Gäulen, begleitet von einem jungen Paar – tanzend und singend neben dem Wagen hergehend, auf dem Kutschbock ein Mädchen mit Wuschelkopf und dunklen Augen, Fenster mit Vorhängen und Blumenkistchen am Fensterbrett, am Wagenende sind drei Boxen befestigt in denen je eine Henne auf sauberem Heu sitzt und zufrieden in die Welt blickt … und gackert, zuhinterst ein Anhänger mit Futter, Wasserfass und Veloständer. Diesem Gefährt bzw. dieser Familie gilt der erstmals zu verleihende „europäische Preis für nachhaltiges Reisen“ ohne Zweifel! Dass damit auch Freundlichkeit und Friede in die Welt kommt, ist offensichtlich. Vielleicht eine Neu-Interpretation von „Maria und Josef mit Jésuine“?


Gedanken bei der Arbeit (bzw. beim Tätigsein)

Renata hat die Gartenbeete und Kieswege vor dem Schloss gejätet. Und ich (Christoph) hatte derweil mehrere hundert Meter Alleebäume und Hecken mit der Motorsense ausgemäht. Das füllte die vier vergangenen Tage komplett (zumindest wenn man diese Arbeiten mit der hierzulande legendären Schweizer Gründlichkeit ausführt). Die Arbeit geht zuweilen in den Rücken; draussen zu arbeiten, mit Natur und Erde in Kontakt zu sein und am Ende des Tages zu sehen, was man geleistet hat, macht aber eindeutig Spass.

Bloss, wenn ich den Eingang um den in den Kalkfelsen gehauenen Weinkeller ausmähen soll, und mir der Kellermeister erklärt „heute sei er der Chef!“, dann sträubt sich (immer noch) etwas in mir. Sei’s denn, aber ich arbeite ja grundsätzlich freiwillig, bestimme selbst und brauche definitiv keinen Chef. „la vie est un piège“, das Leben ist eine Falle …. philosophiert er sogleich, und tatsächlich hat er mich damit an einem wunden Punkt erwischt.
Ich möchte grundsätzlich mit einem „copain“ freundschaftlich zusammenarbeiten, kann mich selbst motivieren (wenn mir das gemeinsame Ziel einleuchtet) und möchte mein eigener Herr und Meister sein und bleiben.

Das führt mich in dieser Ambiance mit aristokratischer Geschichte unweigerlich zur Erinnerung an Madame deMeuron, die legendäre Berner Patrizierin. Ihre berühmte Anrede „Syt der öpper oder nämet der Lohn?“ („Sind Sie jemand, oder beziehen Sie Lohn?“) ist da sehr vielsagend. Existenzrecht und Würde scheint (war) den Einen per Geburt gegeben, die andern mussten ihre Existenzberechtigung mit Lohnarbeit abverdienen.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr scheint mir dies eine verkappte oder moderne Form der Sklaverei zu beschreiben. Ja, wie oft ist die Angst um Einkommen und Existenzsicherung der Grund, weshalb auch an sich ungeliebte oder nicht wirklich überzeugende Arbeiten ausgeführt werden, häufig verbunden mit stillem Groll und einem Klumpen im Bauch.

Einmal mehr meine ich, dass menschliche Würde eigentlich automatisch und per Geburt gegeben ist. (vgl. etwa die Würdekompass-Gruppen, die auf Initiative von Gerald Hüther am Entstehen sind). Daraus folgt das Recht auf Existenzsicherung (bedingungsloses Grundeinkommen) und das Recht eines jeden Menschen, seine Kreativtät, seine Arbeitskraft und seinen Idealismus grundsätzlich freiwillig einzusetzen. Das ist (oder wäre) dann gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe, Soziokratie oder wie man dem auch immer sagen will. Ein dickes Plädoyer für die Freiwilligkeit.

Die bereits erwähnte Madame deMeuron sah dies pragmatisch(er): „Im Himmel sy mir alli glych, aber hie uf Ärde herrscht Ordnig.“ („Im Himmel sind wir alle gleich, aber hier auf Erden herrscht Ordnung.“). Das mag zu ihrer Zeit und aus ihrer Perspektive ja so gewesen sein; zum Glück aber sind wir wieder einige Jahrzehnte weiter in der gesellschaftlichen Entwicklung!