In Belgien führt uns ein Workaway-Einsatz auf ein ganz besonderes Stück Land. Während belgische Einfamilienhausquartiere zumeist von geometrisch klaren und adretten Vorgärten umgeben sind, treffen wir hier auf ein speziell grünes Biotop: Der frühere Landwirtschaftsbetrieb wurde die letzten 25 Jahre über als B&B und als Ort für Familienferien betrieben, in einem kreativen, einfachen und wirklich familiären Rahmen. Der Besitzer und unser Gastgeber ist sich bewusst, dass seine Art des Gärtnerns polarisiere: die Einen treten hier in ein „grünes Paradies“, für Andere sei es eine „grüne Hölle“ oder zumindest ein chaotischer Urwald.
Tatsächlich fühlen auch wir uns herausgefordert, das Terrain ist riesig und die Natur hat hier das Wort: Feigenbäume, Brombeeren, Johannisbeeren, Kiwis und Kiwi-Beeren, Brennnesseln, Nachtkerzen, Schöllkraut, Wermut, Schilf, Weiden, Erlen, Obstbäume …. Vieles wächst dort wo es will. Von welchen Prinzipien er sich den leiten lasse, wollte ich von unserem Host wissen. Bio-Landbau? Ja, teilweise, jedenfalls verwende er keine Düngemittel, Herbizide etc.. Permakultur? Ja, nein, nicht konsequent, aber schon in diese Richtung. Jedenfalls sei ihm jedes Grün bedeutend lieber als ein „nackter Boden“. Gemulcht wird nicht aktiv, hingegen werde jede Pflanze die er ausgerissen hat am selben Ort liegengelassen, damit sei der Boden gleich wieder bedeckt. Lazy Gardening vielleicht? Ja, teilweise. Ein grosses Glashaus, verschiedene Tunnels, ein Gemüsegarten lassen sich ausmachen. Und unübersehbar ist die Vorliebe des Besitzers, hier im flandrischen Flachland Wein anzubauen und selbst Wein zu keltern. Die Weinstöcke geniessen hier wohl einen Sonder-Status. Dazu grosse Gemüsebeete mit zumeist selbstgezogenen Setzlingen. Und zwischen Allem tummeln sich zahlreiche Hühner, die den Boden bearbeiten; Schafe, ein Pferd und zwei Katzen mit Jungen. In einem alten Campingwagen zwei Bienenstöcke. Tag und Nacht ein immenses Vogel-Gezwitscher. Viele Schmetterlinge, Käfer …. und Abends auch Mücken; die zahlreichen Feuchtstellen und Klärweiher bieten das entsprechende Milieu.
Die scheinbar grenzenlose Toleranz der Natur gegenüber ist wohl im Wesen des Gärtners angelegt. „Es ist was es ist“ heisst es im Gedicht von Erich Fried; „es ist wie es ist“ sagt diese emotionsfreie Akzeptanz. Als Workawayer fühlen wir uns ebenso herzlich willkommen und akzeptiert. Wir haben ein eigenes Gartenhaus mit Zimmer, Aufenthaltsraum und Dusche/WC. Wir sind DA. Das ist aber auch schon alles. Wir versuchen, den „roten bzw. grünen Faden“ zu entdecken, die beabsichtigte Ordnung zu verstehen … und unseren Teil zu leisten, um in diesem grünen Durcheinander etwas Übersicht entstehen zu lassen, um den gewünschten Pflanzen optimale Wachstumsbedingungen zu ermöglichen. Wir arbeiten viel und schwitzen stark – bei zeitweise sehr heissem Wetter. Durch Dornengebüsch, Schilf- und Pestwurz-Dickicht und wucherndes Grün gilt es, die darunterliegenden Wege wieder sicht- und begehbar zu machen. Mähen, Jäten, an den Weinstöcken die Triebe ausbrechen. Wir ertappen uns dabei, wie wir nach getaner Arbeit eine Anerkennung, ein Dankeschön, eine Bestätigung oder ein Echo erwarten. Hier erhalten wir die Chance, unseren Einsatz um seiner selbst Willen zu leisten, unabhängig von Lob oder Tadel, gut oder schlecht. Die grüne Oase steht uns zur Verfügung, das reicht doch schon!?!
Interessante Tischgespräche, ein spannender Austausch zur Haltung des Gärtnerns. Eine klare und „schlüssige“ Konzeption ist aber nicht zu erwarten; seine ganz eigene Art ist Programm. In meinem Drang „zu verstehen“, „den Sinn zu erkennen“ und „Überblick zu gewinnen“, laufe ich da ziemlich ins Leere, fühle mich herausgefordert und erhalte viel Stoff zur hinterfragenden Selbst-Reflexion. Unserem Host geht es nicht anders: wenn Du den Garten übernehmen würdest, dann sähe er wohl in wenigen Monaten ganz anders aus, meint er lakonisch. Ja und nein; ich empfinde sehr viel Sympathie für die kreative und durch die Natur gegebene Atmosphäre, ich würde aber bestimmt stärker „ordnend“ eingreifen, bewusste Zonen definieren und eine wesentlich „geplantere“ Vielfalt anstreben. Ich würde wohl eher der bewusst beobachtenden und klar reflektierenden Haltung der Permakultur folgen und „geplant“ Kreisläufe ermöglichen.
Bei knapp zweiwöchigem Aufenthalt liegt es nicht an mir, tiefschürfende Fragen zu stellen. Vielmehr übe ich mich meinerseits in Akzeptanz. So überrascht mich jedenfalls, dass ich bereits nach 10 Tagen eine gewisse Vertrautheit entwickelt hatte, dass „Dreck“ und „Durcheinander“ an Appell-Charakter verloren hatten und dass ich meinen Ordnungswillen ein wenig in Zaum halten konnte.
Es bleiben aber durchaus noch offene Fragen und das ist auch gut so.
(Wird hier das Potenzial des Gartens bewusst nicht ausgeschöpft? Wo liegt die Grenze zwischen naturnah gärtnern und Unordnung/Chaos? Ist „Aufräumen“ eine Kompetenz oder geht das wider die Natur? …. und Einige mehr)
Zwei Tage später schickt uns Lukas eine Foto aus unserem eigenen „antiautoritären Garten“, der in diesen Monaten tatsächlich nach eigenem Gusto sich entfalten konnte. Wir sind ja gespannt auf die Heimkehr. Lukas lieferte denn auch gleich noch einen Link dazu: „der antiautoritäre Garten“ ist ein Buch im Kosmos-Verlag. Die Autorin Simone Kern hat sich als Garten- und Landschaftsarchitektin gefragt, wie angesichts der Klimaveränderung eine angemessene Gartenpraxis aussehen könnte. Da bin ich ja gespannt auf dieses Konzept.