Während unseres Workaway-Einsatzes in Belgien verbringen wir ein Wochenende in Gent. Beim Yacht- und Ruderclub finden wir einen passenden kostenlosen Stellplatz; von da aus ist man in rund 30 Minuten zu Fuss in der Innenstadt (mit Google-Maps als Führerin). Diese langsame Art der Annäherung passt uns ganz gut, so kriegen wir bereits etwas mit vom „normalen Leben“ in dieser Universitätsstadt. Unübersehbar die vielen Studenten, jungen Menschen, Kinder, Mütter und Väter mit Cargo-Bikes – voller Gepäck, Marktgemüse und kleiner Knirpse. Aber auch ältere Menschen mit Rollatoren oder Hündchen, im Gespräch auf der Gasse; die Stadt macht uns von Beginn weg einen lebhaften, geselligen und relaxten Eindruck. Und dann die vielen kreativen Fassaden, die liebevollen Details an den Hauseingängen, die sichtbare Liebe für Flohmärkte und gebrauchte Artikel: aus Tasse und Unterteller etwa wurde ein persönlicher Vogel-Futterplatz über dem Türeingang.
Viele junge Restaurants, viele Lokale mit (ausschliesslich) vegetarischem Angebot, viele Tischchen auf der Strasse. Einige Lokale werben mit Foodsharing, meinen damit aber offensichtlich nicht das kostenlose Teilen von Mitgebrachtem oder das kostengünstige Gericht aus Lebensmitteln, die vor dem Ablaufdatum stehen. Hier meint Foodsharing, dass an einem grossen Gemeinschafts-Tisch gegessen wird und dass es zum Konzept gehört, voneinander bzw. vom Teller der Nachbarn zu probieren.
Das touristische Gent ist bunt, laut und voll wie in vielen anderen Städten auch. Die gemütlichen Hausfassaden, das verwinkelte Stadtbild und die zahlreichen Kanäle lassen aber eine besonders heimelige Stimmung entstehen; mir kommt es zuweilen vor wie in einer grossen übervollen Stube. Und das allgegenwärtige Wasser lässt einen unweigerlich an Venedig denken, nur kleiner, überschaubarer … und schöner.
Die malerischen Winkel, die vielen geschichtsträchtigen Gebäude und die gemütlichen Bierlokale lohnen einen Rundgang auf jeden Fall. Wenn der Besuch – wie bei uns – auf einen schönen Vorsommer-Samstag fällt, dann ist es besonders lebhaft. So schätzen wir es, am vergleichsweise stillen Sonntagvormittag ein zweites Mal durch die relativ leeren Gassen zu schlendern. Diesmal nähern wir uns von Süden her und besuchen vor allem jene Punkte, die am Rande der historischen Altstadt oder gar etwas ausserhalb liegen. Hier glauben wir, dem gewöhnlichen und wirklichen Gent zu begegnen: Flohmarkt entlang einer alten und mit endlosen Graffitis besprayten Klostermauer; Boule-spielende Männer, Spielplätze mit Kinderlachen, junge Leute die in einer Parkanlage ein grosses PicNic vorbereiten, Quartier-Plätze mit Urban-Gardening-Einrichtung, eine Klosterruine als interkultureller Begegnungs- und Konzertort, Kanäle mit fest verankerten Wohnschiffen (und auf diesen idyllische Gärtchen, Liegestühle, Hängematten und Tibetfähnchen), ein Bücher-Tauschmarkt, Gartenbeizen. Und zwischen all dem viele Menschen zu Fuss, mit Kinderwagen, mit dem Velo unterwegs. Ein Ort zum Wohlfühlen.
Wenn man von Gent spricht, dann ist der Ausdruck der „Gentrifizierung“ nicht weit. Ich wollte das mal genauer wissen und fragte bei Wikipedia nach: Als Gentrifizierung (von engl. gentry „niederer Adel“), auch Gentrifikation, im Jargon auch Yuppisierung, bezeichnet man den sozioökonomischen Strukturwandel großstädtischer Viertel durch eine Attraktivitätssteigerung zugunsten zahlungskräftigerer Eigentümer und Mieter als vorher und deren anschließenden Zuzug. Aus <https://de.wikipedia.org/wiki/Gentrifizierung>
Gentrifizierung hat also etymologisch gesehen nichts mit der Stadt Gent zu tun, was nicht heissen will, dass diese Stadt davor gefeit wäre. Die erfolgreiche Modernisierung und Vitalisierung einer Stadt bringt wohl zwangsläufig solche marktliberale Tendenzen mit sich. Der hohe Anteil an Studenten und studentisch geprägten jungen Familien mag dem vielleicht ein wenig entgegen wirken. Hoffentlich.