Wochen 9 bis 11 / 20.Mai bis 9.Juni 2019

Am Samstagabend 18.Mai sind wir bei unseren Freunden Monique und Nicolas und damit auch in der Arche-Gemeinschaft „Le Caillou-Blanc“ angekommen, in Clohars-Fouesnant in der südlichen Bretagne. Und am Pfingstsonntag 9.Juni ging die Reise dann wieder weiter, an die nördliche Küste der Bretagne. Dazwischen drei sehr intensive Wochen voller Begegnungen.

Unser insgesamt fünfmonatiger Einsatz vor 28 Jahren in dieser Gemeinschaft hatte uns nachhaltig geprägt. Der unvoreingenommene Empfang, die Bereitschaft sich Tag für Tag überraschen zu lassen, der damalige Pioniergeist und das tägliche Improvisieren hinterliessen bei uns bleibende Eindrücke. Diese gelebte Grosszügigkeit und Nonchalance empfanden wir als „typisch französisch“, das kompromisslose soziale Engagement und die pragmatische Tatkraft als „typisch Arche“. Erfahrungen, die uns beflügelten. So nimmt uns natürlich Wunder, was hier in den 28 Jahren gegangen ist: Wie hat sich diese Gemeinschaft entwickelt? Was unterscheidet sie heute noch von „gewöhnlichen“ sozialen Institutionen? Welche Herausforderungen stellen sich … und wie gehen die Menschen damit um?

Zunächst die freudigen Begegnungen: Wieder-Erkennen, Herzlichkeit und gemeinsame Freude über die Erinnerungen von damals. Einige der „alten“ Bewohnerinnen und Bewohner haben mit uns gealtert, andere sind zwischenzeitlich verstorben oder weggezogen; deren Eigenheiten und Originalität bleibt in Erinnerung.  Dann die herzlichen Begegnungen und spannenden Gespräche mit den Pionieren von damals: Ja, die Gemeinschaft hat in dieser Zeit einen grossen Sprung gemacht, hat sich hinsichtlich Gebäuden, Werkstätten und Personal mehr als verdoppelt, hat staatliche Anerkennung erlangt, hat staatliche Finanzierung und ebensolche Normen übernommen und sich professionalisiert. 

Renata engagiert sich in diesen drei Wochen an der Seite von Monique im Foyer „Ty Levenez“: Haushalten, Kochen, Putzen, Spiele und Gespräche mit zu betreuuenden BewohnerInnen. Ich, Christoph, helfe wiederum in der Schreinerei mit und treffe auch da auf „alte Bekannte“. Zusammen mit Serge und Jimmy gilt es, beim renovierten Foyer St.Joseph eine Holzverkleidung (Balkon-Untersicht) zu montieren. Zusammen mit Xavier und Pascal entstehen neue Bühnen-Sockel: bohren, schleifen, lasieren, lackieren.

Beim Malen der Bühnensockel („les supports de la scène“) tauchen spontane Überlegungen auf: Welches sind wohl die Sockel bzw. Fundamente der hiesigen Gemeinschaft? Vor 28 Jahren war die Communauté gerade mal 8 Jahre alt; noch voll und ganz in der Pionierphase. Ein nachhaltiger Eindruck für uns war damals die „bedingungslose Offenheit für alle und alles was da kommen mag“. Aus der religiös geprägten Grundhaltung heraus wurde willkommen geheissen, wer immer unter der Tür stand; man ging von der Annahme aus, dass eine höhere Macht diesen Menschen geschickt habe und er somit am richtigen Ort angekommen sei. Diese Haltung des „acceuil“ entwickelte eine unglaubliche Kraft – von der letztlich auch wir profitierten und uns anstecken liessen. Und heute? Die Begrüssungsrituale, die gegenseitige Aufmerksamkeit, das Interesse aneinander und das lockere Miteinander fallen auch heute noch auf und schaffen ein angenehm warmes Betriebsklima.

Und wie steht es heute um die spirituelle Basis bzw. die erwähnte Grundhaltung der „bedingungslosen Offenheit“? Aus einzelnen Schilderungen muss ich entnehmen, dass sowohl auf Klienten- als auch auf Personalebene die heute gängigen Kriterienlisten und Selektionsprozesse angewendet werden. Inwiefern lässt ein funktionsbezogener und rational gesteuerter Auswahl-Prozess noch „Überraschungen“ und ungeahnte Entdeckungen zu? Wo kann das „bedingungslose JA“ zum gegenüberstehenden Menschen heute seine Kraft entfalten?

Die Formen, sich der gemeinsamen spirituellen Basis zu vergewissern, scheinen sich mit dem Generationenwechsel in der Gemeinschaft auch zu verändern. Ökumenische und interreligiöse Offenheit ist zur Selbstverständlichkeit geworden, gut so. Gebetszeiten und Gottesdienste sprechen offensichtlich nicht mehr alle an; sehr beachtenswert, dass die Gemeinschaft diese Formen nicht zur moralischen Keule erklärt und damit dem Prinzip der Freiwilligkeit treu bleibt. Anderseits wird es damit immer schwieriger, eine gemeinsame Haltung zu pflegen, besonders wenn auf viele kurzzeitige, freiwillige und nicht-professionelle Mitarbeitende gesetzt wird. Die Reflexion des eigenen Handelns bleibt eine ständige Herausforderung und Kern der Assistenten-Begleitung.  Spontane Offenheit, Kreativität, gemeinsames Feiern und die Freude am lockeren Miteinander scheint auch der jüngeren Generation zu entsprechen. Wie kann darin eine minimale Verbindlichkeit vereinbart und gelebt werden? Und wie kann das gemeinsame Ziel („das Willkommen-heissen und das gleichwertige Miteinander mit Menschen mit Behinderung“) wachsam im Bewusstsein gehalten und kontinuierlich verfolgt werden? Wie kann Mitverantwortung aktiv und gleichwertig gelebt werden? Gibt es – über das gemeinsame Feiern hinaus – neue und verbindende Rituale?

Bertrand, der eigentliche Gründer der Gemeinschaft, ist mittlerweile pensioniert. Seine Pionierkraft setzt er heute für Hilfsprojekte in Albanien ein: gerade ist er wieder mit einer Equipe aus dem Caillou-Blanc und Studierenden eines Studienganges für „Humanität, Solidarität und internationale Entwicklungszusammenarbeit“ zu Arbeitseinsätzen nach Albanien gereist. Beim Vorbereiten der Material- und Werkzeug-Transporte durfte ich einige dieser Jugendlichen kennenlernen. Sie absolvieren den in Frankreich und Europa einzigartigen Studiengang am https://www.iffeurope.org/ in Angers.

„Nos programmes de formation humanitaire, solidarité internationale et orientation sont conçus pour répondre aux aspirations de jeunes étudiants désireux de relever les enjeux du monde actuel. Notre raison d’être : révéler les talents de chacun d’entre eux pour qu’ils les modèlent, les transforment et les mettent au service de notre société. Plus qu’une acquisition de savoir-faire, nous proposons des programmes de formation à dimension pleinement humaine, qui visent à l’émergence de la vocation spécifique de chacun, pour qu’il devienne responsable de sa propre vie et solidaire de celle des autres.“ (Aus <https://www.iffeurope.org/ecole-humanitaire-orientation/projet-pedagogique/>).

Hoffnungsvolle Ansätze für eine solidarischere Welt!

Die drei Wochen im Caillou-Blanc sind gespickt mit vielen Gesprächen, Begegnungen, Erlebnissen. Eine besondere Überraschung war für uns der Besuch unserer Freunde Rita und Bernhard aus München. Sie verbrachten Ihre Ferien zufällig etwa 50km weiter südlich an der Küste; Grund genug, uns zu einem gemeinsamen Strand-Spaziergang und Abendessen zu treffen. Ein weiteres Highlight war der Ausflug mit Pierre, einem inzwischen pensionierten Bewohner der Gemeinschaft, zur Île de Sein am westlichsten Zipfel Europas.

Eine ganz besondere Chance bot sich uns in der dritten Woche unseres Aufenthalts: Marthe, die Tochter von Nicolas und Monique, war mit ihrer Theatertruppe „compagnie passages“ für eine Probewoche Zuhause. Über Pfingsten dann drei sehr frische und spritzige Freiluft-Aufführungen von Eugène Ionescos absurdem Theaterstück „le roi se meurt“. Eindrücklich, was diese jungen Theater-Profis an Kreativität, Idealismus und Engagement entwickelten – und schön, dass wir diese quirlige und lustvolle Zusammenarbeit miterleben durften.

Ein ganz herzliches MERCI geht an unsere Freunde Monique und Nicolas für Ihre Gastfreundschaft, für die schönen Momente gemeinsamen Arbeitens und gemeinsamer Gespräche. Auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen, … das nächste Mal in der Schweiz?!.

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