Je dünnwandiger die Schale

Der Kunst-Drechsler Jo Maurer aus Bad Saulgau fertigt wunderschöne und einzigartige Schalen aus edlen Hölzern. Er drechselt diese im noch nassen Zustand – und bezieht den Trocknungsprozess voll und ganz in seine Kunst mit ein. Ich staune grenzenlos über seinen Mut, das Holz dermassen dünnschalig zu drechseln, noch dazu wenn der Trocknungsprozess ja erst bevorsteht. Ist das Holz mit seinen inneren Spannungen da nicht unberechenbar? Beim Fachsimpeln erklärt er lakonisch und eindeutig: „Je dünnwandiger die Schale, desto mehr verwandelt sich die Spannung in Form.“ Statt zu zerspringen, nimmt die Schale dann einfach ihre eigene Form an. Und dazu sein zweites Geheimnis: wenn eine Schale reisst, dann ist das nicht ein Fehler, sondern deren Eigenart. Dann wird der Riss kunstvoll „genäht“ und mit Silber- oder Golddraht betont. So „einfach“ ist das.

Diese Formel berührt mich wie ein Blitz: wie leicht lässt sich diese Metapher doch auf menschliches Zusammenleben, auf Gemeinschaftsbildung, auf psychische Prozesse und andere Lebensbereiche übertragen. Handwerk mit philosophischer Tiefe, wow!
Und etwas melancholisch stellt sich der Gedanke ein, was wohl entstanden wäre, wenn sich in unserem Summer of Pioneers auch Spannung in Form verwandelt hätte, wenn es uns gelungen wäre, die „Risse“ kunstvoll zu vernähen bzw. als Eigenart zur Geltung zu bringen. Vielleicht nur eine Frage der Sichtweise? Vielleicht gelingt es noch?

Zu Besuch bei unseren Freunden Helga und Christof in Karlsruhe. Am Sonntagmittag führten uns die beiden ins Gebäude des Regierungspräsidiums Karlsruhe, zur weihnächtlichen Ausstellung Kunst-Handwerk-Design. Viele edle und ausgewählte Objekte, Schmuck, Porzellan-Gefässe, Filz-Arbeiten. Hinter den Ständen zumeist Frauen in fortgeschrittenem Alter, modisch gekleidet mit weissem Haar und roter Brille.

Meine Faszination und Neugier entfacht sich bei zwei Anbietern von Holzobjekten: beim Kunstdrechsler Jo Maurer (siehe oben) und beim Upcycling-Möbeldesigner Peter Himmelsbach. Auch mit letzterem verbindet mich ein gemeinsames Interesse: Ich besass selbst mal einen kunstvoll furnierten 50er-Jahre-Kleiderschrank aus dem Brockenhaus. Nach 1-2 Umzügen entstand daraus ein grosses Büchergestell. Im atelier-himmelsbach.de in Karlsruhe entstehen aus solchen Schränken neue Design-Möbel, einzigartig witzig.

Wieder zuhause bei Christof und Helga sticht mir auf dem Sideboard eine mir bekannte Figur aus Zwetschgenholz ins Auge. Ein Geschenk aus meiner Werkstatt anlässlich unseres letzten Besuchs. Da war ich der eigenwilligen Schönheit des Holzes also bereits auf der Spur.

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