wo chiemte mer hi? – ein kunstsinniger Sonntag

Eingang zum Museum Strauhof in Zürich

wo chiemte mer hi
wenn alli seite
wo chiemte mer hi
und niemer giengti
für einisch z’luege
wohi dass me chiem
we me gieng

Kurt Marti – was er mir bedeutet
Schon während meines Theologiestudiums Ende der 70er und Anfang der 80iger Jahre war mir Kurt Marti ein leuchtendes Vorbild. Ein Theologe, der sich nicht scheute, Position zu beziehen, ein Prediger der die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse mit seiner Vorstellung von „Reich Gottes“ konfrontierte und wo nötig schonungslos kritisierte.
Seine wohltuend diesseitigen und ungeschönten „Leichenreden“, sein radikal gedachtes Magnificat (Und Maria), seine höchst sensible, sinnliche und zärtliche Lyrik, seine theologische Überzeugung dass Gott und Liebe untrennbar eins seien, seine originellen und tief-sinnigen Wortschöpfungen, sein virtuoser Umgang mit Sprache – all das waren mir motivierende Perlen einer (ja der einzig möglichen) Art, Theologie zu betreiben. Im Kosmos von Kurt Marti fühle ich mich – mehr als vierzig Jahre später – immer noch geistig beheimatet. Dies wurde mir in dieser Ausstellung wieder mal dankbar bewusst. Es hat sich gelohnt, den letzten Ausstellungstag für diesen Besuch zu nutzen.

Eine schöne Möglichkeit, der Lyrik von Kurt Marti akustisch zu begegnen, bietet das Projekt „Aufmerksamkeiten“, bei dem Weggefährtinnen und Weggefährten von Kurt Marti ausgewählte Texte lesen. Ideal für die (corona-maskierte) Zugfahrt nach Hause. Und zur weiteren Vertiefung bietet sich die Website kurtmarti.ch an.

Und mit Kurt Marti glückwünsche ich:
Dass du dir glückst.
Dass dir das glück anderer glücke.
Dass durch dich
Ein oder zwei menschen
Besser sich glücken.
Dass das glück dich nicht blende
Für das unglück anderer.
Dass du dir glückst
Auch im unglück.
Dass eine welt werde,
wo zusammen mit dir
viele sich glücken können.

Harald Naegeli – der bekannte Unbekannte
Noch so eine Überraschung, die mir an diesem Sonntag 21.11.2021 zufällt: die Naegeli-Ausstellung im Musée Visionnaire am Predigerplatz 10 in Zürich. Stets schon war ich offen für diese Art von Kunst, die gewissermassen subkutan ihre gesellschaftskritische Sp(r)itze ansetzt. Und wenn ein Künstler sich dabei ganz bewusst der allgegenwärtigen Vermarktungstendenz entzieht, sich lieber inkongnito hält, die Intervention höher gewichtet als seine Person, dann steigert dies m.E. seine Glaubwürdigkeit. Harald Naegeli ist zwar längst nicht mehr inkognito unterwegs, seiner kritischen und spirituell verankerten Haltung scheint er jedoch treu geblieben zu sein. Interessant, wie er – von der Spraydose ausgehend – dann in die Tiefe findet, den Spray-Spuren ins Detail folgt … und sich damit der Ur-Wolke zuwendet.

Die kurzen Video-Statements des mittlerweile 83-jährigen Künstlers lassen eine hoch reflektierte und beeindruckende Haltung erahnen. Im Gespräch macht mich die Museumswärterin auf zwei lohnende Vertiefungen aufmerksam:
Anfang November 2021 lief der anscheinend sehr feinfühlige und facettenreiche Dokumentarfilm „Harald Naegeli – der Sprayer von Zürich“ (Trailer) in den Kinos an, auf den ich schon sehr gespannt bin.
Die interaktive Karte und Foto-Datenbank vermittelt einen Überblick über die Naegeli zugeschriebenen Werke (bzw. Sprayereien, je nach Standpunkt) im Raum Zürich. Ein vergnüglicher Streifzug der anderen Art.

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