Im Fallen lernt die Feder fliegen – Usama al Shahmani

Gerade wollte ich schreiben „Lesegenuss pur“. Im selben Moment stockt etwas: kann eine Geschichte, die Satz um Satz berührt und betroffen macht, Genuss bereiten? Darf sie das? Oder genauer: erlaube ich mir, solches genussvoll zu lesen – bei all der Härte und Tragik, der Zerrissenheit und Entwurzelung, welche Migrationsschicksale zeichnet? Hier wirkt beides gleichzeitig, berauschend zu lesen und berührend im Nachempfinden. Untrennbar wie die zwei Seiten einer Medaille. Eine sprachliche Subtilität und Bildkraft (nein, nicht ‚Bildgewalt‘, wenn dies auch ein gebräuchlicher Begriff ist), die offenbar untrennbar mit der irakischen Kultur verbunden ist. Ein Bilder- und Nuancen-Reichtum, der packt … und beinahe sprachlos macht. Zwei leise und bescheidene Bücher nach Aussen, mit feingliedrig-orientalischer Farb- und Klangfülle im Innern. Ich kann gar nicht anders als mir den Autor mit ebensolchen charakterlichen Eigenschaften vorzustellen. So geht „Begegnung der Kulturen“, die schliesslich – und hoffentlich – beide Seiten bereichert. Feinfühligkeit, Achtung und Respekt sind dann die Eigenschaften, die daraus hervorgehen …. und die unsere gesellschaftliche und globale Situation so dringend braucht. Ich bin sehr dankbar um diese beiden Bücher.

Usama al Shahmani, In der Fremde sprechen die Bäume arabisch, Limmat Verlag 2018
«Ich bin verliebt in dieses Buch!» Elke Heidenreich

Usama Al Shahmani steckt mitten im Asylverfahren, ohne Geld, ohne Arbeit, als in Bagdad sein Bruder Ali spurlos verschwindet. In den sicheren Süden wollte er nicht gehen, wenn er Bagdad verlassen soll, dann möge ihn Usama bitte herausholen aus dem Irak. Aber wie soll dieser die zweitausend Dollar für die Flucht nach Beirut aufbringen? Da kommt auch schon die Nachricht von dessen Verschwinden.
Während Usama mit Ankommen mehr als beschäftigt ist, treffen laufend Nachrichten aus dem Irak ein. Bilder aus dem Leichenschauhaus, von denen doch keines Ali zeigt. Windige Typen aus der Hochsicherheitszone in Bagdad, die bestochen werden wollen für angebliches Wissen. Vorwürfe der Mutter, es wäre nicht passiert, wenn er nicht geflüchtet wäre.
Diese persönliche Geschichte und ein im Exil entdecktes, neues Verhältnis zur Natur formt Usama Al Shahmani zu einem vielschichtigen Roman über den Spagat eines Lebens zwischen alter und neuer Heimat.

Usama al Shahmani, Im Fallen lernt die Feder fliegen, Limmat Verlag 2020
«Ein feinsinniges, weises, poetisches Buch.» NZZ

Die irakischstämmige Aida verleugnet ihre Herkunft, was immer wieder zu Streit mit ihrem Freund führt. In ihrer Not setzt sie sich hin und beginnt aufzuschreiben, was sie nicht sagen kann. Geboren in einem iranischen Flüchtlingslager, kam sie mit ihren Eltern und der älteren Schwester in die Schweiz. Die Mädchen gehen zur Schule, aber ihre Eltern kommen mit dem westlichen Alltag nicht zurecht und verklären mehr und mehr ihre Heimat. Der Vater, ein konservativer Theologe, beschliesst schliesslich, mit der ganzen Familie in den Irak zurückzukehren. Aber was für die Eltern die Heimat ist, die sie einst verlassen haben, ist für die beiden Schwestern ein fremdes Land. Als die Ältere verheiratet werden soll, fliehen sie nun ihrerseits und gelangen als unbegleitete Minderjährige in die Schweiz. Aber auch sie lässt die Vergangenheit nicht los.
Wieder gelingt es Usama Al Shahmani, vielschichtig von der grossen inneren Anstrengung von Flüchtlingen bei ihren Integrationsbemühungen zu erzählen und dabei immer ein Fenster zur Hoffnung offenzulassen. Und nicht zuletzt überwindet er selbst die Mühsal des Exils durch das Verschmelzen der arabischen mit der westlichen Kultur im Erzählen.

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