Süditalien 2020 – Wochenbericht 5 bis 7

Genau einen Monat dauerte unser Workaway-Einsatz bei Antonio, vom 14.Oktober bis zum 14.November. Alles in allem eine sehr aktive Zeit mitten im Nirgendwo der apulischen Ebene. Antonio’s Hof „frutta e verdura – grappone piccolo“ bot uns reichlich Platz und Wirkungsmöglichkeiten. Und je mehr die corona-Meldungen um sich griffen, desto dankbarer fühlten wir uns in dieser geschützten kleinen Welt.

Zusammen mit Theresia, der jungen Berlinerin, empfanden wir uns geradezu als workaway-dream-team. Wir liessen uns von der Fülle der Aufgaben (dem Chaos) nicht entmutigen und entwickelten gemeinsam eine beträchtliche Gestaltungsbereitschaft. Vor dem Haus haben wir viel Material aufgeräumt und zur Entsorgung bereitgestellt. Es entstanden gemütliche Sitznischen für unser Mittagessen. Küche und Wohnung wurden übersichtlich und den Umständen entsprechend schon recht wohnlich. Um Haus und Treibhäuser sind mittlerweile viele Ecken gerodet. Die über drei Wochen bereitstehenden Gemüsesetzlinge sind gepflanzt, eine grosse Brache ist gepflügt und zur Einsaat mit Getreide bereit. Und dazwischen haben wir zwei grosse Anhänger mit Brennholz gefüllt. Auf dem Gelände hat es zahlreiche Depots mit altem Holz, das zu Brennholz verarbeitet werden soll; – gleichzeitig ein unerschöpflicher Fundus an bizarr geformten Olivenholz-Aesten, ideal für Motorsäge-Skulpturen und Kunst-Objekte. Hier kommt Antonio’s Auge für das kreative Potenzial zum Ausdruck. Chance und Gefahr in einem: nein, diese Stücke nicht zersägen, daraus könnte man noch etwas gestalten. ….
In der letzten Woche dann endlich der Auftakt zur Olivenernte. Während vier Tagen werden die besten Oliven für den Hausgebrauch sorgfältig gepflückt bzw. geschüttelt. Eine sehr schöne Arbeit, zuweilen in geradezu meditativer Atmosphäre. Nach der gewissenhaften Vorbereitung der Böden und Haine können wir jetzt umso genussvoller zuarbeiten. Schon ein erhebendes Gefühl, wenn man am letzten Abend mit einer knappen Tonne satt glänzender Oliven ins „frantoio“ (Ölmühle) fahren kann. Und spätabends dann noch die kurze „asseggiata“ (Probe, Degustation) des frisch gepressten Olivenöls: frisch und fruchtig, leicht pelzig, scharf im Abgang. Dieses Öl braucht jetzt noch sechs Wochen Ruhezeit, um seine Aromen voll zu entfalten und rund im Geschmack zu werden.

Renata und Theresia kamen in den letzten Wochen doch noch zu einigen kulinarischen Einblicken und Erlebnissen an der Seite von „nonna gina“. (siehe Renatas Beitrag „Apulien – Genüsse aus Garten und Küche)
Schöne Erinnerungen bleiben auch an die vielen Gespräche am Essenstisch, die anregende und ideenreiche Atmosphäre. Ob Theresias Traum von einem „APE-Camper“ bald Wirklichkeit wird? Den wunderbaren Film über die uralte Musiktradition der SAZ, den wir am Küchentisch sahen, konnte ich inzwischen mehrmals weiterempfehlen.

Ab Anfang November mussten wir regelmässiger die Nachrichten konsultieren und uns über Entscheide und Massnahmen der Regierung rund um Corona ins Bild setzen. Apulien wurde zur orangen Zone erklärt, der Bewegungsradius auf die Gemeindegrenzen limitiert. Unsere Ausflüge ans Meer sind eingestellt. Als wir dann jedoch mitkriegen, dass die Regierung einen Total-Lockdown per Mitte November erwägt, beginnt unser Bilanz-Gespräch. Die Ungewissheit über das Ausmass der anstehenden Bewegungs-Einschränkung, die Wetterprognose, Renatas Wunsch, den letzten Winter im eigenen Haus Weihnachten zu feiern, unseren Enkel Paul beim Aufwachsen zu erleben, dies alles führt zum Entscheid, am Wochenende des 14./15.Nov in zwei Tagen in die Schweiz zurückzufahren

Schweren Herzens verabschieden wir uns von Nonna Gina, von Antonio und von Theresia. Ein Gemisch von Wehmut und Erleichterung prägt unsere Gefühle, als wir an diesem sonnigen Samstagmorgen die Industriestadt Taranto umfahren, als die Hauptstrasse nach Massafra die endlose Weite der Mandarinen-Plantagen durchquert. Zügig gehts auf der corona-leeren Autobahn Richtung Bari und dann nordwärts bis Termoli: die wunderschöne Gegend des Monte Gargano haben wir bereits rechts liegengelassen und die Provinzgrenze zwischen Puglia und Molise überquert. Mittagshalt in jenem Fischerstädtchen, das uns bei der Hinreise einen angenehmen Übernachtungshalt bot. Danach nochmals flüssig weiter bis Loreto, kurz vor Ancona. Den auf dem Hügel thronenden Wallfahrtsort haben wir bloss wegen seines ideal gelegenen Stellplatzes als Übernachtungshalt gewählt. Erwartet hatten wir ein schwülstig barocke und vor Frömmigkeit triefende Atmosphäre. Tatsächlich angetroffen haben wir einen in seiner nächtlichen Beleuchtung äusserst ansprechenden Ort mit beeindruckend durchgängiger Architektur. Das als Festungskirche angelegte Bauwerk geht auf die romanische und frühmittelalterliche Zeit zurück, ist geschmackvoll restauriert und offenbar auch heute noch ein lebendiger und gern besuchter Ort.

Dankbar über diese überraschende „Perle am Wegesrand“ gehts anderntags weiter. Inzwischen durchquert die immer noch corona-leere Autobahn die unermessliche Weite der Po-Ebene. Eine dichte Wolkendecke sorgt für zuverlässig gleichbleibende Beleuchtung, grau in grau. Wir rollen mit stetem 100er nordwärts; bei diesen komfortablen und übersichtlichen Verhältnissen mag sogar Renata zum Steuer greifen. Kurz vor Sonnen-Untergang überqueren wir die Grenze zur Schweiz bei Chiasso, erfreuen uns an aufklarendem Himmel – und steuern einen (inoffiziellen) Stellplatz in Caslano-Magliaso, direkt am Lago di Lugano an. Hier gönnen wir uns bei mildem spätherbstlichem Wetter zwei Tage/Nächte „Akklimatiosationsaufenthalt“. Eine unvergesslich schöne Wanderung führt uns dem See entlang rund um den Monte Caslano. Anderntags fahren wir durch die laublosen Kastanienwälder des Malcantone und besuchen den malerischen Ort Migleglia am Fusse des Monte Lema. Hier winkt mir ein nächstes Wanderziel: der „sentiero di Lago di Lugano“, ein fünftägiger Höhenwanderweg rund um das Becken dieses Sees, meist als Gratwanderung auf der Wasserscheide. A riverderci in primavera! Da war aber auch noch das wunderschön gelegene romanische Kirchlein di Santo Stefano, dem ich die Anregung zu einem zeitkritischen Beitrag verdanke. („Woran wir glauben“)

Unsere Herbstreise lassen wir sodann auf dem Camping Isola in Gudo TI (Magadinoebene) ausklingen. Einer der wenigen Plätze, die um diesen Jahreszeit noch geöffnet haben; wohl deshalb stehen hier auffallend viele „gestrandete“ Wohnmobilisten, die eigentlich den Winter im Süden verbringen wollten, aufgrund der mit den Corona-Massnahmen verbundenen Unsicherheiten jedoch vorgezogen haben, in der Schweiz zu bleiben und bessere Zeiten abzuwarten. Wir brechen am nächsten Morgen auf und erreichen nach problemloser Rückfahrt über den San-Bernardino am Mittwochabend 18.November unser Zuhause; sehr dankbar um eine wiederum intensive und erlebnisreiche, unfallfreie und gesunde Fahrt.

Die Kartenausschnitte unserer Reiseroute

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