Süditalien 2020 – Wochenbericht 3 und 4

Vielleicht braucht es jetzt auch mal ein paar Worte zur C-Situation: hier im Süden Italiens dürfen wir uns vergleichsweise sicher fühlen, zumal wir ziemlich in der Pampa sind und die touristischen Anziehungspunkte ohnehin eher meiden. Und bis zum vergangenen Wochenende schien uns, dass die Italiener die ganze Angelegenheit ziemlich gelassen angehen: das Verhandeln beim informellen Früchteverkauf aus dem Kofferraum an der Strassenecke, das Marktgeschehen, das Geschnatter auf der Terrasse der Kaffeebar tönt alles wie gewohnt. Das temperamentvolle Gespräch wird öfters durch eine faktische „Kinn-Maske“ unterstrichen – damit der Vorschrift Genüge getan ist. Politisch korrekt wenn auch gewöhnungsbedürftig wirkt die Gruppe der vorschriftsgemäss maskierten alten Männer, welche sich um die Parkbank versammelt hat und diskutiert. Bilde ich mir bloss ein, dass dort eine eher gedämpfte bis leicht apathische Stimmung herrscht?
Erfrischend entspannt und fröhlich dann die rund 15-köpfige Runde aktiver Senioren, die ihren Altersnachmittag am Strand von Torre San Isidoro verbringt: jeder bringt seinen Plastikstuhl gleich selbst mit, alle sind maskenbewehrt und die Stühle halten den Abstand ein. (-;
Nicht zu verhindern allerdings, dass bei den eifrigen und teils hitzigen Diskussionen auch aufgestanden und mit den Händen gesprochen wird. Oder die Spielkarten-Runde letztlich doch dieselben Karten in Händen hält … nur ein Beispiel für das schwer aufzulösende Dilemma zwischen Pandemiebekämpfung und Lebensqualität.

Wir sind seit zwei Wochen im Workaway-Einsatz auf einem Bio-Gemüse-Betrieb, bei Antonio und seiner 93-jährigen Mutter Gina in der Provinz Brindisi. Eine weite Ebene voller Olivenbäume, durchzogen lediglich von kleinen schlagloch-durchsetzten Strässchen. Rundum Vogelgezwitscher und Natur, vier Kilometer ausserhalb des nächsten Dorfes, ohne Strassengeräusche und Fluglärm.

Eine Oase der Ruhe in einer Zeit, in der Vieles „durchzudrehen“ scheint. In einer Zeit, in der unsichtbare und virtuelle Viren sich zum Politikthema Nummer 1 emporschwingen und ganze Volkswirtschaften lahmlegen.

Unsere Herausforderungen hier sind ganz basal und konkret: hier sieht man noch richtigen Dreck. Ein Hof, der für Schweizer Augen extrem überstellt ist, wo überall Säcke, Gebinde, Maschinen, Bewässerungsschläuche, Draht etc. rumstehen und zig Quadratmeter von dicht rankenden Brombeerdornen übersät sind, teilweise mehr als mannshoch wachsend. Unwillkürlich kommt einem da „Die Rückeroberung“ von Franz Hohler in den Sinn. Die Natur meldet sich zurück, und dies mit Vehemenz! Der erste Eindruck: ohhh, warum treffen wir stets wieder auf Workaway-Einsatzorte, an denen scheinbar das Chaos dominiert? Der zweite Gedanke nach den ersten Gesprächen mit Antonio: ein feinsinniger Mensch, der sich viele Gedanken macht über den Umgang der Menschen mit der Natur und über den Zustand der Welt. Ein Einzelkämpfer, der mit seinen Ideen eines naturschonenenden Landbaus ziemlich alleine dasteht – und mit der schieren Grösse der Aufgaben schlicht überfordert ist. Mehr Träumer – oder Opfer des Strukturwandels, der auch hier im Absatz Italeins drastisch durchschlägt?

Unübersehbar die sich von Lecce her ausbreitende Bakterienkrankheit an den Olivenbäumen. (Hier Der Link auf den entsprechenden SRF-Artikel „Das Sterben der Oliven Italiens“.) Ein sehr trauriger Anblick, wenn riesige und teils uralte Olivengärten regelrecht verdorren und teilweise bloss noch ausgebrannte Gerippe tausendjähriger Riesen dastehen. Obwohl der Ausbruch der Bakterienkrankheit rund 50km weiter südlich erfolgte, sieht mittlerweile auch Antonio an seinen Olivenbäumen mehr oder weniger stark befallene Aeste: eine Frage der Zeit, bis auch seine 240 Bäume davon befallen sind und der Ertrag ganz einbricht. Allerdings: schon heute ist der Preiszerfall alarmierend. Für 100kg maschinengelesener Oliven kann er noch 6 Euro erwarten. Und für handgepflückte Oliven – ähnlich der Kirschenernte in der Schweiz – gibt’s noch um die 20 Euro …. pro 100kg. Verständlich, dass sich da Zweifel melden und die Motivation stark leidet. Die Material- und Maschinenkosten sind damit nicht mehr gedeckt, von den Arbeitsstunden ganz zu schweigen.

Eindrücklich, wie hier die Olivenernte dennoch mit traditionell grosser Sorgfalt vorbereitet wird. Einzelne Partien in den weitläufigen Olivenhainen erinnern teilweise an japanische Zengärten. Umgeben von jüngeren Bäumen sieht man immer wieder einzelne uralte Baum-Persönlichkeiten, knorriges Wurzelwerk und mächtige Stämme. Sie alle sind umgeben von auffallenden konzentrischen Kreisspuren, gerade so wie wenn jedem Baum sein eigenes Mandala gewidmet würde. Unsere Aufgabe ist es, an Stamm und Wurzel-Ausläufern die Wildtriebe abzuschneiden und diese zu Haufen zu schichten. Mit dem Rechen wird jeder Stamm ausgeputzt … und mit der „rotonda“ wird schliesslich der sandig-steinige Boden unter der gesamten Baumkrone gewischt. Die „rotonda“ ist eine Wischmaschine mit umlaufendem Gummi-Band, ähnlich dem Walm-Rechen eines früheren Motormähers in der Schweiz.

Während der Frühlings- und Sommermonate hat Antonio corona-bedingt keine WorkawayerInnen aufgenommen. Zu gross die Sorge, dass dies die hochbetagte Mutter gefährden könnte. Wir sind unter den ersten Einsatzleistenden nach dieser Corona-Pause, haben idealerweise unser eigenes rollendes „Tiny-Haus“ mit dabei … und die Mutter Gina hält bewussten Abstand. Das Bedauerliche daran ist, dass Renata ihr nicht „beim Kochen über die Schultern schauen“ und etwas von der original apulischen Küche mitbekommen kann. Inzwischen ist mit Theresia eine junge Berlinerin dazugestossen, die Kunstgeschichte studiert hat und sehr gut italienisch spricht. In ihrer zupackenden Art und Motivation passt dies sehr gut und wir entwickeln eine erstaunliche gemeinsame Dynamik beim Roden und Aufräumen: eine Freude zu sehen, wieviel man gemeinsam bewirken kann.

Das Organisieren und Systematisieren ist wirklich nicht Antonio’s Stärke. Wenn dann noch ein Sammler-Naturell dazukommt, das in jedem Gebraucht-Artikel stets noch eine eventuelle Verwendungsmöglichkeit sieht, dann ist die Chaos-Gefahr akut. Sobald man jedoch vertiefter ins Gespräch kommt, wird spürbar, welche Sensibilität ihm eigen ist und welche gedanklichen Zusammenhänge ihn beschäftigen.

Zweifellos eine Stärke stellen dagegen seine Weltoffenheit, das Interesse an anderen Sichtweisen und seine Feinfühligkeit dar. Ein angenehmer Umgang, die Offenheit und Freude, sein Wissen weiterzugeben wie auch sein ausgeprägter Sinn für bewusste und gesunde Ernährung machen die Zusammenarbeit angenehm. Am Ende dann die gemeinsame Freude an der geleisteten Arbeit bzw. an der wunderschönen – dornenbefreiten – Steinmauer.

Von Steinmauern und Oliven – Die Bildergalerie zum Workaway-Einsatz

Olivenernte in Sizilien im Herbst 2019 – Wissenswertes und Nachdenkliches zur-Produktion von Olivenöl

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