Perle am Wegesrand – l’Abbazia san Leonardo di Sirponto / ein Werk von www.iricostruttori.org

Just an unserem Hochzeitstag stossen wir „per Zu-fall“ auf diesen ganz besonderen Ort. Unterwegs auf der Schnellstrasse um Manfredonia der unverhoffte Hinweis auf die „Abazzia San Leonardo“, auf die Bremsen und rechts abbiegen, denn eine Pause ist ohnehin überfällig: während hinter uns die Autos vorbeibrausen fühlen wir uns wie aus der Zeit geworfen. Ein sorgfältig restauriertes Kleinod, wunderschön schlichte romanische Details – und im Innern der Kirche eine umwerfende Akustik. Das geringste Summen und Knurren füllt den Raum – prädestiniert für obertönende Klangexperimente und für ein von Herzen kommendes „Dona nobis pacem“.
Man spürt an diesem Ort eine besonders beseelte Atmosphäre: Die Gebäude strahlen eine unerhörte Schlichtheit und Bescheidenheit aus, die Renovationsarbeiten wirken für mein Auge perfekt, romanischer Bestand und moderne Elemente sind gekonnt verknüpft – lassen aber noch mehr erahnen als nur technische Perfektion und Selbstverwirklichung eines Architekten.

Auch die Umgebung hat etwas Verzauberndes: unter einigen Kiefern liegen Steinblöcke die Geschichte atmen, Reststücke aus der ehemaligen Ruine wohl. In einer Gelände-Ecke hat jemand einen Gemüsegarten angelegt. Ein alter Lastwagen steht hinter einem angrenzenden Gebäude, eine Tür steht offen – aber auf dem ganzen Gelände ist niemand zu sehen. Alles still um diese Mittagszeit. Weit und breit keine Baustellen-Tafel, welche Aufschluss geben würde über Auftraggeber, Architekten, beteiligte Handwerker und … ein allfälliges EU-Regio-Förderprogramm zur grosszügigen Finanzierung. Niemand den ich fragen könnte.

In der Kirche stosse ich – nebst einem religiösen Traktat des Bischofs von Manfredonia – auf einen Jahreskalender mit Fotos. Hier komme ich dem Geheimnis dieser besonderen Atmosphäre auf die Spur: www.iricostruttori.org ist eine italienische Vereinigung, die 1978 von einem Turiner Jesuiten-Pater (Gian-Vittorio Cappelletto) gegründet wurde. Sie versammelt Menschen, die östliche Meditation und westliche Spiritualität zu verbinden suchen, die in heilpraktischen und Gesundheitsberufen tätig sind und sich an einem ganzheitlichen, integralen und interreligiösen Weltverständnis orientieren. Und ganz offensichtlich sind es Menschen, die Aktion und Kontemplation zusammenbringen möchten, die in der handfesten und aktiven Renovationsarbeit (an rund 15 ehemals verfallenen Objekten in ganz Italien; Häusern, Höfen und kleinen Klöstern) die notwendige Ergänzung sehen zur persönlichen meditativen Transformationsarbeit. So entstehen in weitgehender Eigenarbeit zeitgemässe Orte der Kraft, Seminarorte für Meditation und Yoga, für Naturmedizin und Heilung. Dies jedenfalls meine ich mit meinen bescheidenen Italienisch-Kenntnissen aus dem Kalender und der Website herauslesen zu können. Ein faszinierendes Projekt, das ich unbedingt noch besser kennenlernen möchte. „Grazie per la sorpresa“ überschrieb ich meine Feedback-Mail an die angegebene Adresse, ja, grazie tanto.

Konservieren? Renovieren? Rekonstruieren? – wie kann man, wenn überhaupt, geschichtlichen Werten gerecht werden?
Was wir hier vorgefunden und durchaus als stimmig empfunden haben, ist aus kunsthistorischer und archäologischer Sicht mitunter auch kontrovers zu sehen. Ich erinnere mich an jenen Archäologen im Grabungsgelände von Paestum, der uns vor knapp einem Jahr seine Grabungsphilosophie erklärte. Italien verstehe die Archäologie nicht als Rekonstruktion vergangener Meisterwerke; vielmehr gehe es darum, die vorhandenen Ruinen und Reste in ihrem derzeitigen Zustand zu würdigen … und als Zeugen der Zeit zu erhalten. Sein Blick auf die Abbazia San Leonardo wäre vielleicht ein anderer, er hätte mitunter eine Ruine belassen, statt etwas zu rekonstruieren. Nicht umsonst heisst die hiesige Vereinigung jedoch „i ricostruttori“: OK so, das Ergebnis ist schlicht und einfach berührend.

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