Zwischenwelten – unterschiedliche Wege des Heilens

Am 13.September durften wir im Kino Rosental in Heiden eine eindrückliche Vorführung des Dokumentarfilms „Zwischenwelten – unterschiedliche Wege des Heilens“ miterleben. Der Film von Thomas Karrer entstand in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, der Schnitt erfolgte sinnigerweise im ehemaligen Operationssaal des früheren Spitals Trogen, welches heute als „Palais Bleu“ ein Künstlerkollektiv beherbergt.
Gerade in dieser Zeit, in der uns die medial allgegenwärtige Corona-Thematik im Nacken sitzt, spricht dieser Film Bände – obwohl seine Entstehungsgeschichte 14 Jahre zurückreicht und die Premiere an den Solothurner Filmtagen 2020 noch vor dem Lockdown stattfand.

Der Film verzichtet auf jede Wertung und Gegenüberstellung von Schulmedizin und Naturheilpraktik. Er beschränkt sich darauf, Menschen zu porträtieren, welche meist im Verborgenen wirken: Menschen, die mit dem Unberechenbaren rechnen, Menschen die sich durch Stille, Bescheidenheit und Demut auszeichnen, Menschen die ihre besondere Begabung ihrerseits als Geschenk verstehen, Menschen die sich als Mittler verstehen für Kräfte und Energien, die einem grösseren Ganzen entstammen.
Der Dokumentarfilm verwebt geschickt die bodenständigen Interviews mit gewaltigen Naturbildern, mit überwältigenden Mikro- und Makroaufnahmen, mit in der Tradition verankerter und zuweilen sphärischer Musik. Ein Gesamtkunstwerk, das uns staunen lässt über Ungreifbares, das dennoch greifbar Wirkung zeigt.

Besonders eindrücklich war auch das anschliessende Gespräch zwischen zwei Protagonisten und den Filmemachern. Dass dieses Gespräch von Matthias Weishaupt moderiert wurde, seines Zeichens ehemaliger Gesundheitsdirektor des Kantons Appenzell Ausserrhoden, setzte zusätzlich eine interessante Note.

Was mich persönlich umtreibt: Als globalisierte und technisierte Gesellschaft(en) sind wir 2020 definitiv in einer Welt angekommen, die von einem grenzenlosen Machbarkeitswahn geprägt ist. Wenn man bereit ist, genügend finanzielle Mittel zu sprechen, dann wird mittlerweile für alles eine technische Lösung versprochen, ja selbst für Dinge, die noch gar nicht als Problem oder Bedürfnis manifest sind. Wenn ich das weltweite Phänomen Corona-Lockdown betrachte, dann sehe ich darin die unmittelbaren Folgen einer entgrenzten materialistisch-kapitalistischen Marktlogik: das totale Absicherungs- und Machbarkeits-Denken lässt offensichtlich keinen Raum mehr für das Unberechenbare, für das Unbeherrschbare.
Oder ist es Zufall, dass in den bundesrätlichen Berater-Gremien die Ethikerinnen, die Philosophen, die Sozialpsychologinnen, die Theologen etc. überhaupt nicht vertreten waren? Welche Perspektiven helfen abzusichern, dass die Massnahmen-Pakete nicht ausschliesslich von naturwissenschaftlich-technokratischer Denkart geprägt werden und dass die natürlichen Polaritäten und Bedingungen des Lebens im Bewusstsein bleiben? Was schützt uns letztlich vor einer „Diktatur der Technokratie“?
Während meines Theologiestudiums veröffentlichte die evangelische Theologin Dorothee Sölle 1981 einen Aufsatz mit dem Titel „Das Machbare ist der Tod“. Schon damals ortete sie im technokratischen Machbarkeitswahn eine Tendenz, die in ihrer rein materialistischen Ausprägung der Komplexität des Lebens nicht gerecht werden kann … und unweigerlich im Tod enden würde. Eine Menschheit, die sich vollumfänglich der Profitmaximierungslogik verschreibt, endet im „Erstickungstod am Brot allein“ und in der Beziehungslosigkeit.
Der Film „Zwischenwelten“ erzählt von Menschen, die die natürliche Begrenztheit menschlichen Lebens akzeptieren und gerade damit zu Ganzheit und Heilung beitragen können.

Auszüge aus „Zwischenwelten – Die Website zum Film“:

Synopsis
Was ist Gesundheit? Was Krankheit? Wie gelingt Heilung? Es sind die grossen Fragen, denen sich Thomas Karrer in seinem Dokumentarfilm „Zwischenwelten“ nähert. Der Titel gibt zugleich die Marschroute vor: Es geht hinaus auf unsicheres Terrain, dorthin wo kaum Erklärbares vom Mantel des Geheimnisses umhüllt wird, unsichtbare Energien wirken, zu den Heilern ins Appenzell. Das Unsichtbare, das Mystische, das, was sich den Augen verschliesst und doch Wirkung zeigt, ist ihr Aufgabengebiet. Ein Anachronismus im 21. Jahrhundert, zugleich eine Hoffnung für manche, die jede schulmedizinische Gewissheit verloren haben. Heiler sind tief verwurzelt im Appenzell, wo seit jeher ein besonderer Umgang mit Gebets- und Geistheilern sowie alternativen Heilmethoden besteht. Schon immer haben Naturheilpraktiker hier Tinkturen, Salben und Medizin hergestellt und verabreicht und die Schulmedizin ergänzt. Wer hier zum Arzt geht, geht mitunter auch zu einem Heiler oder Naturheilpraktiker und umgekehrt. Was zählt ist allein die Heilung und der Weg dorthin. Und so liefert auch der Film keine eindeutigen Antworten: Er sucht, er hinterfragt und bleibt dabei doch in der Rolle des Beobachters, der sich einem Rätsel nähert, für das es keine Auflösung gibt.
Natur- und Makroaufnahmen, Vogelperspektiven, Nebelschwaden, Blicke in unberührte Landschaften, Durchscheinendes, Kristalle, Eis, Natur, Musik: „Zwischenwelten“ bewegt sich auch visuell und musikalisch in „Zwischenwelten“. Die Protagonisten: Heiler aus den Regionen St.Gallen, Toggenburg und dem Fürstentum Liechtenstein und ihre „Energiearbeit“.
Die Kamera beobachtet sie beim „Heilen“ – macht für einen kurzen Augenblick sichtbar, was man nicht sieht und verschliesst sich doch jeder Deutung und Wertung. Was aufscheint sind Menschen mit einer besonderen Begabung, die in Interviews von ihren unterschiedlichen Wegen zum und im Heilen erzählen. Und auch vom Appenzellerland.
Thomas Karrers Dokumentarfilm ist ein Film, der Fragen stellt, eintaucht in „Zwischenwelten“, das Nahe und Ferne, das Besondere und Gewöhnliche zu einer dokumentarischen Reise verdichtet, in der die Frage nach Krankheit und Heilung immer auch die Frage nach einem selbst ist.

Hintergründe
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts kennt Appenzell Ausserrhoden ein Gesundheitsgesetz das offen und liberal gegenüber den Naturheilpraktikern ist. Sie stellten schon früh ihre eigenen Wundsalben und Mittelchen nach Familienrezept her. Toleriert vom Gesetzgeber und respektiert von den Einwohnern, gut verwurzelt und vernetzt. Im katholischen Innerrhoden gibt es mehr Gebetsheiler als Hausärzte. Von Ohr zu Ohr werden Namen und Adressen weiter gereicht um vor «Hitz und Brand» zu schützen. Praktisch jede Familie in Appenzell kennt einen von ihnen. Doch noch keiner hat vor laufender Kamera über seine Tätigkeit gesprochen.


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