So geht es nicht weiter, wenn es so weitergeht.

Für diesen Ausspruch habe ich keine eindeutige Autorenschaft gefunden. Vielleicht ist es einfach so, dass sich manchmal Erkenntnisse herausbilden und gewissermassen ins allgemeine Bewusstsein drängen, weil sie einfach „reif“ sind. Wohl in diesem Sinne nimmt Christoph Pfluger den Satz auch auf in seinem Buch „Strategie der friedlichen Umwälzung – eine Antwort auf die Machtfrage“, welches diesen Oktober 2019 in der edition Zeitpunkt erschienen ist.
So geht es nicht weiter, wenn es so weitergeht. Beim Rückblick auf das zu Ende gehende Jahr und auf die gesellschaftliche Dynamiken, die sich zuweilen still und zuweilen lautstark manifestiert hatten, dämmert Vielen von uns diese Erkenntnis. In meinem mehrheitlich sozial-ökologisch orientierten Bekanntenkreis keine absolute Neuigkeit. Was mich jedoch erstaunt: Während der letzten drei Tage bin ich gleich auf drei Personen gestossen, von denen ich diesen Satz nicht in solcher Klarheit erwartet hätte.

Verantwortungsbewusste und sehr engagierte Unternehmer-Persönlichkeiten, Männer die verlässlich ihr Bestes gaben und geben, die erfolgreich eine Firma führen – und doch immer deutlicher feststellen, dass es so nicht weitergehen kann … wenn sie nicht persönlich, emotional, gesundheitlich und familiär komplett „auf der Strecke bleiben“ wollen. Der Eine hat kurzerhand seine Firmenübergabe eingefädelt, der andere plant den mittelfristigen Rückzug, der dritte bereitet sich mit intensiver Lektüre und Reflexion auf eine Neuorientierung vor …. und der vierte steckt noch mitten im Hamsterrad der Überforderung. Sie alle spüren – zumindest in den stillen Momenten – dass es so nicht weitergehen kann.

Heute früh, am Morgen des Weihnachtstages 2019, tauchte in mir plötzlich die Ahnung auf: je mehr Menschen diese Erkenntnis wirklich an sich heranlassen, je mehr Menschen die Grenzwertigkeit des neoliberalen, global vernetzten und hemmungslosen Turbo-Kapitalismus am eigenen Leib spüren, je mehr Menschen das falsche Spiel hinterschauen, desto grösser wird die Chance, dass das System kippen kann. Bislang war es die Sorge, dass das „System Natur“ völlig aus dem Gleichgewicht gerät und plötzlich kippt; warum aber sollte nicht auch das „System Mensch“ individuell wie kollektiv plötzlich kippen können? Denn dass mit der bisherigen Wirtschaftsform die Reichen stets reicher und die Armen stets ärmer, die Einen stets mächtiger und die Andern stets ohnmächtiger werden, dass das Geldsystem nicht geeignet ist Gerechtigkeit zu schaffen und dass die Wirtschaftslogik des heiligen grenzenlosen Wachstums nur um den Preis der totalen Ausbeutung der Ressourcen zu haben ist, solche Erkenntnisse dämmern immer mehr Menschen.

Wenn es uns gelingt, dieses „Kippen“ friedlich herbeizuführen, von heute auf morgen auf unnötigen Konsum und Statussymbole zu verzichten, uns auf das Not-Wendige zu konzentrieren und uns mit gemeinsamer Fantasie und Tatkraft gegenseitig auszuhelfen, dann beginnt etwas grundlegend Neues, dann geschieht Weihnachten. Und dann kann ich unser Grosskind, das demnächst auf die Welt kommen will, mit gutem Gewissen und freudig auf dieser Welt begrüssen und willkommen heissen.

Die gestrige Glücks-Erfahrung, zeigte mir, dass Solches möglich ist: zusammen mit meiner erwachsenen Tochter einen Tag in der Werkstatt verbringen, gemeinsam werkeln, Ideen entwickeln, aus Altem Neues schaffen, drechseln und montieren, sich gegenseitig inspirieren, zuhören, mitdenken, staunend und dankbar miteinander auf dem Weg sein. Wunderbar.

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