TID 2019 – Teil 1 von Mohacs bis Belgrad

Am 22.Juli um 0.15 Uhr fährt mein Flixbus von St.Gallen direkt nach Budapest. Nach 13-stündiger Busfahrt, zufälligem Blitz-Umstieg (eigentlich meinte ich, in Budapest 4 Std auf den Anschluss warten zu müssen) und weiteren 3 Std Bus erreichte ich vor genau einer Woche den Ausgangspunkt Mohacs.

Der darauffolgende TID-Ruhetag ist geeignet um das Boot zu übernehmen, herzurichten und Zeltmaterial zusammenzustellen. Packprobe und erste Begegnungen mit neuen und einigen unverwüstlichen alten Gesichtern. Für mich die ideale Einstimmung auf weitere tausend Paddel-Kilometer zwischen Mohacs (HU) und Silistra (BU).

Hier stoße ich u.a. auf den 82-jährigen Horst aus Berlin, der im Klepper-2er mit einer Bekannten von Ingolstadt bis hierher gepaddelt ist. Er hört hier auf, wirkt aber immer noch kraftvoll und optimistisch. Von ihm nehme ich diese zwei Weisheiten mit auf die Tour: „Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen.“ und „Humor ist der Schwimmgürtel auf dem Meer (dem Fluss) des Lebens.“

Die ersten zwei Paddel-Tage führen in serbisches Gebiet nach Apatin und dann nach Bogojevo. Die Donau ist hier – immer noch latent umstrittener – Grenzfluss zwischen Serbien und Kroatien. Ein etwas sonderbares Gefühl, gewissermaßen „zwischen den (alten) Fronten zu paddeln“. Vom Anlanden wird zuweilen abgeraten; ob wegen Blindgänger-Gefahr oder serbischem Abgrenzungsbedürfnis wird nicht ganz klar. Ein Schweizer Paar im Kanadier musste die Tour aufgrund gesundheitlicher Probleme in diesem Abschnitt beenden; die Nothilfe klappte aufgrund der Grenz- und Zuständigkeits-Konflikte (und aufgrund der serbischen EU-Aussengrenze) sehr schlecht. Da fehlt mir dann jedes Verständnis für nationalistisches Abgrenzungsbedürfnis.

„Abgebrochene Brücken“: an mehreren Orten sehe ich Stummel von Brückenpfeilern – diese stummen Zeugen der Kriege haben eine starke Symbolkraft und stimmen mich sehr nachdenklich.

Die Begegnungen mit Menschen sind dagegen sehr freundlich und hilfsbereit, unser Vorhaben wird interessiert beobachtet. In Bogojevo beschert uns nicht nur die Sonne eine wunderbare Abendstimmung: eine Kinder-Tanzgruppe führt eigens choreografierte Tänze auf, am großen Kochtopf wird Fischsuppe bereitet, eine serbische Musikgruppe spielt auf – und später unterhält noch eine Pop-Rock-Band. Die ansässigen Ferienhaus-Besitzer stellen ihre Vorgärten (und teils gar Aussen-Duschen und -WC’s) als Zeltplatz zur Verfügung.

Der nächste Tag bringt uns zum zweiten Mal akribische serbische Grenz-Formalitäten, da wir für eine Übernachtung ans kroatische Ufer nach Borovo wechseln. Man kommt dabei nicht umhin, an das Macht- und Imponiergehabe des Amtsschimmels zu denken. Alle Pässe werden eingezogen, durch mehrere Hände gereicht, in diverse Listen eingetragen und schließlich zum Stempeln ins Büro in der Stadt gebracht.

Das Paddeln jedoch ist eine Welt für sich, ein Dahingleiten in tänzerischem Rhythmus, ein friedliches Gefühl in der wirklich freien Natur. Zuweilen ein meditatives Sinnieren, die Gedanken schaukeln lassen, genießen. Der Blick auf die Spiegelungen des Wassers lässt an impressionistische Gemälde denken. Äähh … natürlich umgekehrt, denn diese waren ja ihrerseits von der Natur-Betrachtung inspiriert.

Im kroatischen Borovo wird uns erneut ein festlicher Empfang bereitet, es werden Geschenke überreicht, Volkstanz und kroatischer A-Cappella-Männergesang vorgeführt; der Frauenverein hat Stände aufgestellt und hält Selbstgemachtes (nicht nur Häckel- und Strickwaren, auch Konfitüre und Schnaps) zum Verkauf bereit.

Nein nicht Venedig… es ist Ruhetag in Novi Sad und ein heftiger Gewitter-Regen ist gerade vorbei. Das WLAN ermöglicht mir im nicht-europäischen Serbien endlich Whatsapp-Nachrichten zu verschicken.

Novi Sad („neue Saat“) ist Bezirks-Hauptstadt der Vojvodina. Das ehemalige Sumpfgebiet zwischen Donau und Theiss wurde zu Zeiten der Donau-Monarchie durch deutsche Aussiedler („Donau-Schwaben“) urbar gemacht, trockengelegt und ist heute fruchtbare Landwirtschaftsgegend.

Die Festung Petervardein in Novi Sad wurde nach Plänen von Vauban erbaut; eine Stadt mit sehr bewegter prä-europäischer Geschichte, wie wir bei der Stadtführung erfahren. Die Osmanen waren hier, die Türken, die Habsburger … und heute sind es die Touristen. Auch die Euro-Velo 6 führt hier vorbei und verbindet den Atlantik mit dem schwarzen Meer.

Am nächsten Morgen geht’s auch für uns weiter, die 42km von Novi Sad nach Stari Slankamen sind eine wunderschöne Paddelstrecke. Verdiente Pause in einer urigen Csarda-Bauernschenke mit herrlichem Fischgericht unterm Nussbaum
Den absoluten Höhepunkt serbischer Gastfreundschaft erleben wir dann in Stari Slankamen: eine Reha-Klinik an der Donau stellt den Innenhof als Zeltplatz zur Verfügung, in der Therapie-Abteilung dürfen wir Duschen und Toiletten nutzen und im Personalrestaurant essen. Welch unkompliziertes Verhalten – im standardisierten und zertifizierten Mitteleuropa schlicht undenkbar. (Wie ich nachträglich erfahre, wurde die Reha-Klinik Ende der neunziger Jahre zur Behandlung von kriegsgeschädigten Menschen errichtet.)

Danach das Fest mit Ansprache des Gemeindepräsidenten, Ehrungen, Info-Film, Bier-/Wein-Degustation und Musik einer serbischen Gitarren/Lauten-Gruppe: beeindruckend in jeder Hinsicht. Beim Konzert waren selbst die Reha-Patienten begeistert mit dabei.

Am Mittwoch geht es über weitere 50km, teils mit leichtem Rückenwind, nach Belgrad. Solopaddeln.

Zu den Karten
Zu den Bildern

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.