Woche 6 / 29.April bis 5.Mai 2019

Höchste Zeit wieder etwas zu schreiben. Der Bus ist gepackt; morgen Montag vormittag geht es weiter. Wir verlassen das Château du Petit Thouars, wo wir nun über mehr als zwei Wochen unseren Workaway-Einsatz absolvierten. Nun bleiben uns zwei Wochen Transfer-Zeit, bis am 17./18.Mai in Clohars-Fouesnant in der Bretagne der nächste Einsatz beginnt.

Das Loire-Tal mit seinen Schlössern haben wir nun gesehen: und dass wir zuletzt noch ein Schloss „von innen“ erleben durften, war bestimmt ein besonders lehrreicher Eindruck. Denn auch nach gut zwei Wochen bleibt die Bilanz eindeutig: hier gibt es – auch noch Jahrhunderte nach der französischen Revolution – einen offensichtlichen Unterschied zwischen Schlossbesitzern und Bediensteten. (Entgegen meiner Annahme im vorausgehenden Artikel.) Erstaunlich, da es sich bei den Schloss-Erben ja eigentlich um ein junges Paar handelt, das zuvor in Paris gelebt hatte. Uns gelang es bis zuletzt nicht wirklich, ein lockeres, vertrauensvolles und von gegenseitigem Interesse geprägtes Verhältnis zu den Hosts aufzubauen – und unsichtbare aristokratische Grenzen zu durchbrechen. Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass diese mit all ihren Aufgaben und den organisatorischen Anforderungen ziemlich ge(über)fordert sind.

Ganz anders jedenfalls die zahlreichen Begegnungen mit den anderen Hand-Arbeitern. Hier ergaben sich wunderbare, fröhliche, lustige und hilfsbereite Begegnungen, hier war gegenseitiges Interesse spürbar und wir brachten in dieser Zeit auch richtig viel gemeinsam Zustande: eine riesige Parkanlage gemäht, viele (Rosen-)Beete gejätet, für die Kinder einen kleinen Garten angelegt und ein Zeltgerüst aufgebaut, geputzt, geordnet …etc. Renata hat beim Jäten verschiedene Phasen durchgemacht, sich zuweilen über das Desinteresse der Hosts gewundert, geärgert – und schliesslich zur Einsicht gefunden, dass sie dies den Rosen zuliebe tun will. Wunderbare Einstellung. Das erinnert mich unweigerlich an die Worte von Angelus Silesius:
„Die Ros‘ ist ohn Warum,
sie blühet weil sie blühet,
sie tracht‘ nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet“.

Wir konnten insgesamt gut für unser inneres Wohlbefinden sorgen und uns wenn nötig abgrenzen: der eigene Camper im Hof war uns zuweilen für kurze Momente ein hilfreicher (und warmer) Rückzugsort. Zudem sorgte der erste Mai für einen entspannten Unterbruch.

Das vergangene Wochenende hatten wir mit einem „Kompensationstag“ zu einem dreitägigen Ausflug verlängert: Villaine-les-Rochers, ein kleines beschauliches Dorf im Departement Indre et Loire, ist in ganz Frankreich als Zentrum der Korbflechterei bekannt. Ein interessantes und sehr anschauliches Museum gibt Einblick in alle Facetten dieses Handwerks. Ein Rundgang durch das Dorf, die teils in Höhlenwohnungen befindlichen Korber-Werkstätten und durch die Haine und Felder mit Korbweiden, lässt die jahrhundertealte Tradition dieses Dorfes lebhaft nachvollziehen. Inspirationen für die zahlreichen Bünde sortierter Weidenruten, die noch zuhause in meinem Schopf lagern. Zur Galerie „Villaine-les-Rochers“.
Von hier aus ging’s weiter nach Tours, der Stadt des heiligen Martins. Park&Ride, per Bus in die Innenstadt, Kathedrale, Museum über das französische Handwerkswesen bzw. über die Handwerker auf der Walz, auf der Tour de France (museum de la Campagnonnage), Museum für zeitgenössische Kunst (CCCOD – centre création contomporaine olivier debré), alles gute Möglichkeiten, der ungewöhnlichen Kältewelle auszuweichen. Wir merkten aber wieder einmal mehr, dass wir nicht für Grossstädte gemacht sind – und zogen am frühen Abend weiter zu einem wunderschönen und ruhigen Stellplatz direkt am Ufer des Cher, im beschaulichen Dorf Savonnières. Von hier aus konnten wir am Montag zu Fuss das nahegelegene Schloss Villandry mit seiner einzigartigen Gartenanlage besuchen. Zur Galerie „Villandry“

Gestern Samstag dann nochmals ein ganz besonderes Ausflugs-Erlebnis: François, der Chocolatier (vom Tag der offenen Tür) hat uns auf eine Randonnée in St.Nicolas-de-Bourgeuil eingeladen. Mit dabei ein befreundetes Paar aus Orléans. Wir treffen uns direkt beim grossen Weingut „la chopiniére du roy“ in St.Nicolas-de-Bourgeuil, dem einzigen Ort in Frankreich, der gleich eine gemeindeweite AOC-Anerkennung (Cabernet Franc) erwirken konnte. (Fazit davon: alle Bauern hatten danach ihre traditionellen Mehr-Sparten-Betriebe sukzessive umgestellt, Gemüse-, Obstbau und Viehhaltung aufgegeben und vollumfänglich auf Rebbau gesetzt. Profit statt Biodiversität.)
Zunächst ein lehrreicher Rundgang durch die riesigen, flachen Weingärten auf ziemlich sandigem Boden. Auch hier sind die Weinbauern mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert und experimentieren mit allerlei Mitteln, wie den zunehmenden Frost-Risiken zu begegnen sei. Jene Felder, die in kritischen Nächten mit Sprühregen berieselt worden sind, weisen deutliche Wachstums-Vorsprünge auf. An einer andern Stelle wurde mit einem gasbetriebenen Windrad experimentiert: dieses wälzt in den kritischen Nächten die oberen wärmeren Luftschichten um (auf 10-15m) und verteilt die wärmere Luft in bodennahe Schichten. Auch hier ein sichtbarer Wachstumsunterschied gegenüber den unbehandelten Zonen.
Nach einem deftigen Mittagessen nach Winzerart und diversen Weinproben konnten wir am Nachmittag einen zweiten Rundgang machen. Am oberen Dorfrand liegen riesige Weinbergflächen am leicht ansteigenden Hang; mittendrinn eine Art „Tunneleinfahrt“. Der Eingang in ein rund 25 Hektaren grosses gemeinschaftliches Kellersystem unter den Weinbergen. In diesen ehemaligen Steinbrüchen wurde jener Sandstein abgebaut, mit dem die zahlreichen Schlösser, Kirchen und Kathedralen der Umgebung errichtet wurden. Unvorstellbar, wieviel Schweiss und Handarbeit allein schon für den Abbbau nötig war. Rund 400 Meter führt der Weg unter den Weinbergen hindurch, bis der Degustationskeller dieses Weinguts errreicht ist. Hier lagern jene Weine, die im Barrique ausgebaut werden. Eine eindrückliche Szenerie … wenn auch die hier gekosteten Weine mir persönlich nicht besonders gehaltvoll und abgerundet erscheinen.
Gegen Abend lädt uns François noch zu einem Apéritif zu sich nach Hause ein. Bei Crémant aus der Gegend von Saumur-Champigny lässt sich wunderbar diskutieren. Das angeregte Gespräch und damit der Apéritif ziehen sich bis nach 21 Uhr hin: einmal mehr ein wunderschönes Erlebnis, wie fünf wildfremde Menschen – allerdings alle in ähnlicher Lebenslage, wir zwei gut sechzig und die andern drei um die siebzig – sich in kürzester Zeit in einem vertrauensvollem Gespräch finden und über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg Gemeinsamkeiten entdecken können. Merci beaucoup, François.

Klar ist: die nächste Etappe wollen wir den Steinbrüchen und Höhlen des Anjou widmen. All dem, was weniger offensichtlich, weniger prunkvoll und meist unter der Oberfläche liegt – und den Prunk der Loire-Schlösser überhaupt erst möglich gemacht hat.


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