Am Sonntagabend durften wir Marlis und Heinz zum Apéro und Znacht in unserem Camper begrüssen. Sie sind an diesem Tag per Bahn und mit ihren Velos nach Nevers gereist, um von hier weg die „Loire à Vélo“ zu geniessen. Am Montag eine gemeinsame Radtour entlang des Canal-latéral-à-la-Loire, flussaufwärts, zum Einfahren und Anwärmen, bis Fleury-sur-Loire und dann auf gleichem Weg wieder zurück. Die Wolken lockern zeitweise auf und die Frühlings-Tendenzen werden spürbar, PicNic beim Port du Canal, der in der Hochsaison wohl von Hausbooten überquillt.
Am Dienstag geht’s weiter nach La Charité-sur-Loire (Stellplatz auf der Insel). Besonders sehenswert war unterwegs das Mündungsgebiet des Allier, le Bec-d’Allier, ca. 10 km nach Nevers. Das Gebiet erinnert ein wenig an das Rheindelta am oberen Bodensee: wunderschöne Uferlandschaft, von Schafen beweidet. In den Büschen, Dornen und Gräsern hängen unzählige „Fähnchen“ aus Schafwolle, sozusagen natürlich gekardet. Renata sammelt diese Wollresten ein und spinnt daraus einen Ring; vielleicht gelingt auch noch eine Filz-Kugel. La Charité-sur-Loire ist mit der grossen Kirche zwar Unesco-Welterbe, der Ort wirkt aber ansonsten eher traurig: viele leere Läden, viele heruntergekommene Gebäude, wenig belebt. Zum Glück finden sich noch junge Menschen, die dieses Vakuum als „Zwischennutzung“ kreativ anreichern. Ein Hol-und-Bring-Laden, ein temporäres Musik-Lokal, ein Basar wird zum kreativen Co-Working-Space … und an einem Brocante-Schaufenster das tiefsinnige Wortspiel mit Ortsbezug: „Qu’importent ces mots république, commune ou royauté, ne mêlons pas la politique avec la charité.“ (Théodore Botrel)
Am Mittwoch Weiterfahrt nach Ousson-sur-Loire, ein gepflegter kleiner Ort; zahlreiche der Häuschen mit Loire-Blick scheinen von Stadtbewohnern aus Paris oder Orléans für Wochenendaufenthalte auserwählt. Wir stehen zunächst auf leerem Parkplatz bei der Halle-des-Fêtes und machen Mittagsrast. Kurz vor zwei Uhr ist dann Rush-hour in diesem beschaulichen Dorf und innert Minuten sind wir vom mehr als einem Dutzend Autos umzingelt: Altersnachmittag. So fliehen wir in die Nähe des Glas-Containers und erwarten dort die radelnden Freunde zum Apéro.
Uebernachtungsort ist dann die „Roulotte des Amis“: Marlis und Heinz nächtigen im hölzernen Zirkuswagen in einem sehr sympathischen Einfamilienhaus-Garten und wir dürfen unseren Camper gleich dazustellen, direkt neben das Kleintiergehege mit Truthan, Hühnern, Hängebauchschweinen, Enten – von jeder Sorte ein Paar. Wer dabei in Schweizer Dimensionen denkt, stellt sich das jetzt eng vor auf vielleicht 400m2. Hier ist es eine respektable Fläche von bestimmt 2 Hektaren.
Am Donnerstag geht’s weiter nach Sully-sur-Loire. Unterwegs besuchen Renata und ich das „Living-History-Projekt“ Guédelon: Hier wird in einem abgeschiedenen Waldgebiet mit den Mitteln, Werkzeugen und Kenntnissen des Mittelalters eine Burg errichtet. Eindrücklich was in bisher 23 Jahren hier entstanden ist, weitgehend in Freiwilligen-Arbeit, fachlich (handwerklich) und wissenschaftlich (archäologisch, historisch) begleitet. Ein lebendiger Anschauungsunterricht für zahlreiche Schulklassen. Dieser Wald aus Eichen, Buchen, Eschen, mit zahlreichen Sand- und Lehmgruben durchsetzt, mit Felspartien oxydhaltigen Gesteins und mit einem nahegelegenen Waldsee bot die optimale Umgebung, um mit den vor Ort vorhandenen Mitteln zu bauen. Heute lassen sich Steinhauer, Steinmetze, Schmiede, Zimmerleute, Ziegelmacher, Schindelmacher, Töpfer, Seiler, Müller, Korbflechter, Zaunbauer, Fuhrleute, Drechsler und viele mehr über die Schultern schauen und ihr Handwerk erleben. Eindrücklich, mit welch cleveren Überlegungen und mit wie einfachen Mitteln früher gebaut wurde und auch heute noch ein derart massives Gebäude entstehen kann …. wenn man sich die Zeit gibt, die es dafür braucht.
Die Handwerker wirken glaubwürdig, kompetent und strahlen eine ruhige Gelassenheit aus: Handgriff um Handgriff, Schritt um Schritt, – wie das der Strassenkehrer Beppo in Michael Ende’s Geschichte von MOMO ebenso ausdrücklich erklärte.
Der Stellplatz in Sully-sur-Loire liegt direkt am Loire-Damm, sehr ruhig und unmittelbar hinter der stimmigen und naturgerechten Parkanlage des hiesigen Schlosses. Hier bleiben wir gerne zwei Nächte.
Am Freitag radeln wir zu viert nach St.Benoit-sur-Loire. Die dortige Abbaye de Fleury gilt als ältestes Benediktinerkloster in Frankreich und beherbergt angeblich Reliquien des Ordensgründers Benedikt, welcher in Montecassino in Italien die Grundlagen des abendländischen Mönchtums gelegt hatte. Ein schlichtes und lichtes, ein beeindruckendes romanisches Bauwerk mit sehr schönen Details. Auf dem Loire-Damm geht’s dann wieder zurück nach Sully, wo wir nach ausgiebigem PicNic im Schlosspark das Wasserschloss von Sully-sur-Loire besichtigen können. Die Anlage ist imposant, geschichtsträchtig und bestens erschlossen; der Rundgang ist sehr interessant und lehrreich, museumspädagogisch hervorragend gestaltet. Nach dem gestrigen Erlebnis auf der Baustelle von Guédelon beeindruckt der immense filigran gebaute Dachstuhl nochmal mehr.
Am Samstag wechseln wir in die Nähe von Orléans zu einem sehr schönen Stellplatz, unter Platanen mit direktem Loire-Blick, in La-Chapelle-Saint-Mesmin. Wenn man den etwas komplizierten Einlass-Automaten mal geschafft hat, dann ist alles perfekt. Sogar WLAN für einen ausgedehnten Büro- und Blog-Nachmittag ist vorhanden. Wiederum ein schöner Platz für zwei Nächte.
Der Sonntag ist Orléans-Tag: die Kathedrale von Orléans erreichen wir um die Mittagszeit, als die letzten Kirchgänger mit Palmwedeln (bzw. Buchsbaum-Zweigen) durch die Gassen nach Hause streben. Palmsonntag. Die mächtige gotische Kathedrale mit ihren Jeanne d’Arc-Fenstern ist gewissermassen Brennpunkt der Geschichte dieser Stadt: Orléans feiert jährlich vom 29.April bis zum 8.Mai mit grossen Son-et-Lumière-Festspielen die Befreiung der Stadt aus der englischen Belagerung im Jahr 1429. Die Legende um Jeanne d’Arc (Johanna von Orleans) wird heute geschickt zu Marketingzwecken genutzt, schliesslich ein eindeutiger USP (unique selling proposition). Das tut der attraktiven Universitätsstadt aber keinen Abbruch und stiftet offensichtlich heute noch Identität: so jedenfalls im lebhaften Gespräch mit einer ganz und gar heutigen „Johanna von Orléans“, welche den kühlen Frühlings-Sonntag mit mehreren Gläsern vin blanc feiert, während wir auf dem Platz vor der Kathedrale unseren Kaffee schlürfen.
Die Radtour zum Parc Floral, einem prächtigen botanischen Garten vor den Toren der Stadt, lohnt das Suchen: wunderschöne Anlage mit grossen Spazierwegen rund um die Quelle des Loiret, einer Karst-Quelle mit rund 21 Metern Durchmesser. Aus diesem 8-Meter tiefen Quell-Topf, „le bouillon“ genannt, fliessen rund 1300m3 Wasser pro Sekunde. Mit nur gerade 12 Kilometern Länge ist er der kleinste Loire-Nebenfluss, der dazu noch einem ganzen Département seinen Namen lieh.
Übrigens: die kambodschanischen und indischen Restaurants in der Rue de Bourgogne können wir nur empfehlen. Auch in gastronomischer Hinsicht ein buntes Miteinander: die Stadt scheint ihre Multikulturalität zu geniessen …. und wir das feine Essen.